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Wut ist immer ein schlechter Ratgeber.
Kann jemand besser Wut ausdrücken als die Schauspielerin Hannah Herzsprung? Sie spielt, als würde sie gar nicht spielen. Mit dem Film “4 Minuten” von Chris Kraus hatte sie 2006 ihren Durchbruch. Hannah Herzsprung ist dort in der Rolle einer hochbegabten Pianistin zu sehen, die wegen Mordes im Gefängnis sitzt. Insgesamt 60 Auszeichnungen bekam der Film, erfahren wir bei der Premiere der Fortsetzung “15 Jahre” im Kino International. Der Regisseur Chris Kraus ist an diesem Abend nicht dabei und deutet in einem verlesenen Brief extrem schwierige Bedingungen bei dieser jahrelangen Produktion an. Seine Partnerin Uta Schmidt – im Leben wie im Beruf – hat es als Editorin immer wieder geschafft, die Produktion zu retten. Sie starb im November mit 58 Jahren, und Chris Kraus wollte ohne sie nicht zur Premiere nach Berlin kommen. “15 Jahre” erzählt die verschlungene Geschichte der Pianistin Jenny von Loeben nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis und wird wieder getragen von der grandiosen Hannah Herzsprung. Sie hält Film wie Plot zusammen und wird nach 144 niemals langen Minuten mit Standing Ovations gefeiert.
Wer wollte die Wut einer jungen Frau nicht verstehen, die fünfzehn Jahre unschuldig im Gefängnis verbrachte. Wenn sich individuelle Wut kollektiv artikuliert, wird es aber gefährlich. Nicht auszudenken, hätte Wirtschaftsminister Robert Habeck in der letzten Woche versucht, die Fähre in Schüttsiel (Schleswig-Holstein) zu verlassen. Dass die Bauern sich trotz hoher Subventionen (mehr als 40% ihrer Einnahmen kommen aus öffentlichen Töpfen) gegen die Kürzung der Zuschüsse beim Agrardiesel wehren und Straßen blockieren, kann man gerade noch nachvollziehen. Wenn aber Protestler zum Mob werden, ist eine rote Linie überschritten. Aufgestachelt von rechten Scharfmachern attackierten Bauern in Brandenburg Fahrzeuge des Rundfunk Berlin Brandenburg. Die Saat geht auf, wenn bis in die Mitte unserer Gesellschaft hinein die Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Staatsmedien diffamiert werden.
Die AfD, die eigentlich für die Abschaffung aller Subventionen ist, nutzt jede Möglichkeit, um Stimmung gegen die Ampel, gegen “das System” zu machen. In “Prantls Blick” vom 07.01.24 zitiert Heribert Prantl aus einem zynischen Text des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels: “Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben”, heißt es in “Die Dummheit der Demokratie”, “dass sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde. Die verfolgten Führer der NSDAP traten als Abgeordnete in den Genuss der Immunität, der Diäten und der Freifahrkarte. Dadurch waren sie vor dem polizeilichen Zugriff gesichert, durften sich mehr zu sagen erlauben als gewöhnliche Staatsbürger und ließen sich außerdem die Kosten ihrer Tätigkeit vom Feinde bezahlen. Aus der demokratischen Dummheit ließ sich vortrefflich Kapital schlagen.“ Der durch das Recherchenetzwerk CORRECTIV aufgedeckte “Rechtsextreme Geheimplan gegen Deutschland”* lässt mir den Atem stocken. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat sich dazu eindringlich geäußert: “Man hat sich sehr in seinem komfortablen Privatleben eingerichtet und man nimmt nicht hinreichend wahr, wie ernsthaft die Bedrohungen für unsere Demokratie inzwischen geworden sind.“ Sage nur niemand, er habe nichts gewusst!
>> Dazu gibt es am 17.01.24 eine Szenische Lesung im Berliner Ensemble, die im Netz gestreamt wird.
Erk Walter
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