© Karl Grünkopf
In Wroclaw (Breslau) wird auf einer Plakatwand ein Nürnberger Prozess gegen Wladimir Putin gefordert.
Vier Jahre sind vergangen, seit wir das letzte Mal bei Krzyżowa Music waren. Damals fand das Kammermusikfestival im Moltke-Schloss im früheren Kreisau unter Corona-Bedingungen statt, die heute anmuten wie Begebenheiten aus weit vergangener Zeit und deren (politische) Konsequenzen sich noch immer nicht abschätzen lassen. Inzwischen haben wir gelernt, mit dem Virus zu leben. Die nächste Impfwelle steht im Herbst an – jeder kann und muss die Entscheidung für sich selbst treffen. In Krzyżowa jedenfalls ist alles wieder wie vor der Pandemie. Was Matthias von Hülsen und seine Frau Dorothy da jedes Jahr organisatorisch und finanziell stemmen, lässt sich kaum ermessen; so müssen für jede Spielzeit Spender & Sponsoren akquiriert werden. Für das künstlerische Konzept steht Viviane Hagner ein. Sie wohnt wie die vielen zumeist jungen Musiker:innen auf dem Gelände. Krzyżowa Music eignet eine ganz besondere Campus-Atmosphäre mit öffentlichen Proben, Begegnungen und gemeinsamen Mahlzeiten.
Das Programm der Konzerte wird erst kurz vor Beginn im Netz veröffentlicht. Entdeckungen kann man immer machen – mich beeindruckt ganz besonders das Streichsextett des tschechischen Komponisten Erwin Schulhoff. In den 1920er Jahren begeisterte er sich für Neue Musik, Dada und Jazz gleichermaßen. Später wurde er sowjetischer Staatsbürger, konnte aber nicht mehr vor den Deutschen fliehen und starb in einem Internierungslager an Tuberkulose. Die Geschichte ist allgegenwärtig in Krzyżowa. Ablehnung und Ressentiments erleben wir aber nicht, auch nicht am 1. September, an dem sich der deutsche Überfall auf Polen zum 85. Mal jährte. Zum Konzept des Festivals zählen Konzerte auch außerhalb des Schlosses, etwa in Wrocław, dem früheren Breslau. Wir entdecken eine lebendige, weltoffene Stadt mit vielen jungen Leuten und das “Viertel des gegenseitigen Respekts” mit einer kleinen jüdischen Community. Dort stoßen wir auf ein auffälliges Billboard, das einen Nürnberger Prozess für den Kriegsverbrecher Wladimir Putin fordert.
Es ist unvorstellbar, dass solch ein Plakatgemälde 300 km weiter westlich in Dresden stehen würde, wo die Populisten von rechts und links einen Kotau vor dem russischen Diktator machen. Nicht bloß die polnische Zeitung Rzeczpospolita reibt sich verwundert die Augen: „Seit Jahren sagt die CDU, sie werde niemals mit der postkommunistischen Partei Die Linke regieren, weil diese die Erbin der Kommunisten aus der ehemaligen DDR und der ‚Partei der Berliner Mauer‘ sei. Wie können die Christdemokraten nun erklären, dass sie mit einem Bündnis eine Regierung bildet, das aus einer Spaltung der Linken hervorgegangen ist? Sahra Wagenknecht war die Anführerin des extremsten Flügels der Kommunistischen Plattform.“ (02.09.24) Der Sommer 2024 geht zu Ende und war so warm wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen, meldet der EU-Klimadienst Copernicus. Wenn die Zeichen nicht trügen, steht uns ein ganz heißer Herbst bevor.
Erk Walter
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