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Seit 35 Jahren gibt es das Jüdische Museum in Frankfurt, es ist Deutschlands ältestes städtisches jüdisches Museum. 2020 eröffnete es nach 5-jähriger Umbauzeit mit einem Lichtbau und einer erweiterten Ausstellungsfläche. Und es bietet noch mehr Raum für Wechselausstellungen, jüdische Geschichte, Kultur und lebendiges und vielfältiges jüdisches Leben in Frankfurt.
Am 9. November 1980 eröffnet das Jüdische Museum Frankfurt im Rothschild-Palais – am 50. Jahrestag der Novemberpogrome. Trotz der Terroranschläge der Hamas und des zunehmenden und offen ausagierten Antisemitismus versteht sich das Museum als „Haus ohne Mauern“! Es setzt auf interkulturelle Verständigung und will gesellschaftsgestaltend wirken und stärken.
Response Hessen, die Beratungsstelle für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, meldet, dass für 2023 (bis jetzt) 28 Meldungen zu rassistischen Übergriffen und 16 zu antisemitischen Übergriffen eingegangen seien – von diesen 16 ereigneten sich 9 davon nach dem 7. Oktober.
Text: Sohra Nadjibi
12.12.2023
Geschichte und Gegenwart jüdischer Wehrhaftigkeit
Kurator:innenführung
>> Jüdisches Museum, 18 Uhr, Anmeldung: besuch.jmf@stadt-frankfurt.de
Das Lichterfest Chanukka erinnert an die Rückeroberung und Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem durch jüdische Widerstandskämpfer, die Makkabäer, im Jahr 164 vor der Zeitrechnung. Die Kurator:innen Rifka Ajnwojner und Arwin Mahdavi Naraghi führen durch die Dauerausstellung.
12.12.2023
„Ich bevorzuge Baseballschläger …“ Formen jüdischer Widerständigkeit
Podiumsgespräch mit Hermann Alter, Debora Antmann, Leon Kahane und Hanna Veiler
>> 19.30 Uhr, Anmeldung: besuch.jmf@stadt-frankfurt.de, 10/erm. 5 €
Wann braucht es jüdische Widerständigkeit? Wie kann diese aussehen? Wie auf antisemitische Sprüche und Stereotype, auf Gewalt reagieren? Die Diskussion über Geschichte und Praktiken jüdischer Gegenwehr bestreiten Debora Antmann, Körperkünstlerin und Kolumnistin, der Jurist und langjähriges Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt Hermann Alter, der Künstler Leon Kahane und die Publizistin und Präsidentin der Jüdischen Studierenden Union Deutschland Hanna Veiler. Laura Cazés – Herausgeberin von „Sicher sind wir nicht geblieben. Jüdischsein in Deutschland“– moderiert den Abend.
13.12.2023/ 17 Uhr
Auseinandersetzung mit Antisemitismus
Digitale Führung mit Museumsdirektorin Mirjam Wenzel
>> Anmeldung: onlineredaktion@juedischesmuseum.de
Die Dauerausstellung „Wir sind jetzt“ zeigt die Vielfalt jüdischer Kulturen im heutigen Frankfurt und wie sich Juden und Jüdinnen gegen Angriffe wehren und was die systematischen Verfolgungen durch die Nationalsozialisten ab 1933 für sie bedeuten. Seit dem 7. Oktober 2023 steigt die Zahl der antisemitischen Übergriffe sowie offen artikulierter Judenhass. Mirjam Wenzel sucht Antworten auf Fragen wie „Wie gehen Juden und Jüdinnen damit um?“ „Was können sie entgegnen?“ Und: „Was können wir tun?“
© Sandra Hauer, Jüdisches Museum
Fragen an Prof. Dr. Mirjam Wenzel – Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt
Was kann eine Kulturinstitution wie das Jüdische Museum zu einer offenen Gesellschaft beitragen?
Das Jüdische Museum will mit seinen Ausstellungen, seiner Bildungsarbeit und seinen digitalen Angeboten Geschichtsbewusstsein, Selbstreflexion und Diversitäts-Sensibilität stärken. Wir treten gegen Hass und Hetze an und für eine differenzierte Auseinandersetzung ein – sowohl innerhalb unserer beiden Museen wie auch in der Stadt und den Klassenzimmern.
Wie stehen Sie zu dem Narrativ des „importierten Antisemitismus“?
Das ist ein problematisches Narrativ, weil es Antisemitismus „den anderen“ zuschreibt. Judenfeindschaft ist, wie es die israelische Historikerin Shulamit Volkov formuliert hat, ein „kultureller Code“ der christlich geprägten Gesellschaften Europas seit dem Mittelalter. Er wurde von den europäischen Aufklärern fortgeschrieben und mit dem Kolonialismus weltweit exportiert. Verschwörungsmythen und rassistische Stereotypisierungen verdichteten sich im Nationalsozialismus zu einem Vernichtungsantisemitismus, dem sechs Millionen jüdische Menschen zum Opfer gefallen sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die judenfeindlichen Einstellungen bestehen. Mit Gründung des Staates Israel und dem Kampf der Palästinenser um einen eigenen Staat entwickelte sich dann der israelbezogene Antisemitismus, der in vielen arabischen Ländern heute zur „Staatsräson“ gehört und von Aktivisten weltweit geteilt wird. Antisemitismus ist sowohl in der sogenannten Mitte, insbesondere der deutschen Gesellschaft, fest verankert wie auch in rechtsextremen, linksaktivistischen und migrantischen Communities.
Michel Friedman sprach in seinem Taz-Talk im November 2023 von strukturellem Antisemitismus in Deutschland. Und darüber, warum er immer schlimmer werde. Wie sind Ihre Beobachtungen zum strukturellen Antisemitismus in Deutschland?
Antisemitismus ist ein Seismograph für die Stabilität der liberalen demokratischen Ordnung. Seit Jahren verzeichnen die RIAS-Meldestellen einen kontinuierlichen Anstieg verbaler wie physischer Gewalt gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland, der seit dem 7. Oktober 2023 noch einmal sprunghaft angewachsen ist.
Als das Jüdische Museum vor 35 Jahren als öffentliche Kultureinrichtung des Frankfurter Museumsufers eröffnete, konnten Besucherinnen und Besucher seine Ausstellungen und Veranstaltungen aufsuchen, ohne sich besonderen Sicherheitsmaßnahmen zu unterziehen. Nach dem Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel im Mai 2014 wurde der Eingangsbereich um eine Kontrolle mit Metalldetektoren ergänzt, nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 wurde Polizeischutz für beide Museen eingeführt. Seit dem 7. Oktober 2023 bewachen Polizisten mit Maschinengewehren die Eingänge zu beiden Häusern.
Was wünschen Sie sich von der Zivilgesellschaft?
Ich wünsche mir, dass die Zivilgesellschaft für Zivilität und Demokratie ein-, also gegen Hass, Hetze und Terror aufsteht. Ich wünsche mir, dass der 7. Oktober in Zukunft als ein Verbrechen gegen die Menschheit erinnert und betrauert wird – und zwar weltweit und unabhängig von kulturellen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeiten. Ich wünsche mir, dass die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland und Europa sich dafür verantwortlich erklärt, dass Jüdinnen und Juden sich in ihrer Mitte sicher fühlen und ein selbstbestimmtes Leben führen können. Ich wünsche mir, dass wir mehr darüber sprechen und streiten, wie die Gesellschaft aussehen soll, in der wir zukünftig leben wollen.
Die Autorin Deborah Feldman sagt in einem Gespräch mit Robert Habeck, dass die Bundesregierung Juden und Jüdinnen selektiv schütze, sie spricht sich für eine umfassende Menschlichkeit als Lehre aus dem Holocaust aus. In einem Interview sagte sie, die Staatsräson solle den Deutschen ihre Angst vor dem eigenen inneren Monster nehmen, sie sei gleichbedeutend mit der Bereitschaft, gegenüber Israel blind zu sein. Wie sehen Sie das?
Die Sicherheitsorgane der Bundesrepublik Deutschland schützen jüdische Organisationen und Einrichtungen. Sie kommen damit der besonderen Verantwortung nach, die Deutschland als Nachfolgestaat des Dritten Reichs dafür trägt, dass Jüdinnen und Juden sich insbesondere in Gemeinschaft sicher fühlen.
Robert Habeck hat diese Verantwortung und damit den Begriff der Staatsräson in seinem Videostatement noch einmal neu begründet. Er hat damit eben die Rede gehalten, auf die viele Jüdinnen und Juden in Deutschland seit dem 7 Oktober gewartet haben – zumal angesichts des Schweigens in weiten Teilen der Zivilgesellschaft und der Kultur. Die Rede des Vizekanzlers war in erster Linie an die deutsche Bevölkerung gerichtet. Sie war in außenpolitischer Hinsicht sicherlich auch eine Reaktion auf die Enthaltung Deutschlands zu der Resolution des Weltsicherheitsrats, die eine Feuerpause in Gaza forderte. Die Kritik, welche die Schriftstellerin Deborah Feldmann geäußert hat, reiht sich in eine Reihe von Stimmen, die in den letzten Jahren das außenpolitische Verhältnis zwischen Deutschland und Israel kritisiert und ihm innenpolitische wie auch erinnerungskulturelle Motive unterstellt haben. Beim aktuellen Regierungshandeln sieht man indessen, dass es durchaus Differenzen zwischen außenpolitischem Handeln und innenpolitischen Signalen gibt.