Unsagbar privilegiert kommt Hedwig Höss (Sandra Hüller) das Leben vor, das sie mit ihrem Mann Rudolf (Christian Friedel) und den fünf gemeinsamen Kindern in der polnischen Provinz führt. Man residiert in einem schmucken Anwesen mit weitläufigem Garten, Swimmingpool, Gewächshaus – nur durch eine hohe Mauer vom Arbeitsplatz des Familienoberhaupts getrennt, dessen Büro sich im unmittelbar angrenzenden Konzentrationslager Auschwitz befindet. Im Gegensatz zu früheren Holocaust-Filmen interessiert sich der britische Regisseur Jonathan Glazer nicht fürs Sichtbarmachen der Geschehnisse im Vernichtungslager Auschwitz, verzichtet er doch konsequent darauf, die unfassbare Brutalität aus der Perspektive der Opfer zu zeigen. Während einem via Tonspur Schüsse, Schreie und Hundegebell aus dem KZ zugänglich gemacht werden, konzentriert sich die Regie auf den Höss’schen Alltag, hängt sich an Familienausflüge in die scheinbar malerische Umgebung dran, lässt Hedwig ihren Garten genießen, Gäste empfangen. Als Rudolf nach Oranienburg versetzt werden soll, droht das mühsam aufgebaute Bilderbuchidyll der Familie zu zerbrechen. Der mehrfach preisgekrönte und derzeit fünffach für Oscars nominierte Film basiert lose auf dem Roman des britischen Autoren Martin Amis, wirkt sowohl inhaltlich als auch formal rasiermesserscharf sezierend übern Abspann hinaus lange nach.
Horst E. Wegener
>> Start: 29.2. (105 Min.), USA/England/Polen 2023, mit Christian Friedel, Sandra Hüller, Ralph Herforth, Daniel Holzberg, Sascha Maaz, Freya Kreutzkam, Imogen Kogge