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FRIZZ: Ich durfte einen Blick in Ihr Archiv werfen – ein unfassbarer Reichtum an Schätzen – 18.000 Erstausgaben von Musikstücken, Korrespondenz zwischen Künstler:in und Verlagshaus, Buchhaltung – alles original erhalten … Mittlerweile weiß sicher jede:r Offenbacher:in höchst wahrscheinlich um Ihre Geschichte … Aber vielleicht eine kurze Zusammenfassung Ihrer langen Tradition.
Hans-Jörg André: Weil Sie grade sagen, jede:r Offenbacher:in kennt unsere Geschichte … das stimmt sicher – wenn jemand zu uns ins Geschäft kommt und etwa für eine Enkelin eine Gitarre aussuchen möchte und dann sagt, dass er hier seine erste Flöte vor sehr vielen Jahren bekommen hat … (lacht). Das ist eine lange Beziehung zwischen den Kund:innen und uns. Und was ich auch toll finde, wir haben hier viel Besuch von Schulen und Kindergärten. In den Grundschulen wird auch die Geschichte mit Mozart und Goethe erzählt, das ist ein bisschen identitätsstiftend. Aber auch viele Neu-Offenbacher:innen, die die Geschichte nicht kennen, sind angenehm überrascht. Auch wenn Neu-Kund:innen kommen und wir erzählen, dass sie im ältesten Unternehmen im Musik-Business gelandet sind, sind sie sehr erstaunt und erfreut. Das ist immer auch ein schöner Einstieg. Wir haben ein gutes Standing und das 250-Jahre-Jubiläum wird ja auch wirklich gebührend gefeiert mit vielen tollen Veranstaltungen bis zum Jahresende (Anm. d. Redaktion: Alle Veranstaltungen zum André-Jubiläum können Sie am Ende des Interviews über einen Link oder QR-Code einsehen). Und zur Geschichte ganz kurz: Die Gründung als Musikverlag war so etwas wie eine Start-up-Idee meines Ur-Ur-Ur-Ur-Großvaters, er war erfolgreicher Seidenfabrikant, aus Frankreich kommend, war aber auch Musiker und Komponist. Als leidenschaftlicher Musiker hat er beschlossen, seine Seidenfabrik ad acta zu legen und mit dem Handel von Musiknoten zu beginnen. Es war vielleicht eine verrückte Idee – aber im Nachhinein, wie sich herausstellte – eine erfolgreiche. Die Musik hatte bei Johann André einen hohen Stellenwert und sein Sohn Anton hat dann die geniale Entscheidung getroffen, mit gerade mal 24 Jahren, den Mozart-Nachlass von seiner Witwe Constanze aufzukaufen und die Nutzungsrechte an der Drucktechnik der Lithographie vom Erfinder Alois Senefelder hier nach Offenbach zu holen. Das hat das Unternehmen ganz weit nach oben gebracht!
FRIZZ: Seit wann vertreiben Sie Musikinstrumente?
Hans-Jörg André: Heute sind wir ja primär ein Musikfachhandel, der Verlag ist da und durch das Archiv ganz präsent. Wir haben auch noch Ausgaben, die wir verbreiten. Der Musikfachhandel begann 1828 – und zwar in Frankfurt. Das war noch unter Antons Zeiten. In Frankfurt wurde eine Niederlassung eröffnet, in der Musikinstrumente gekauft werden konnten und hier in Offenbach waren die Notenfabrikation und der Verlag. Wahrscheinlich musste ein Verlag naturgebunden auch immer Musikinstrumente anbieten – das entwickelte sich automatisch. Die Filiale in Frankfurt an der Hauptwache bestand bis zum 2. Weltkrieg, bis sie komplett zerstört wurde. Deshalb wurde dann alles nach Offenbach verlagert – bis heute.
FRIZZ: Sie haben 1992 das Unternehmen übernommen.
Hans-Jörg André: Ja, meine Mutter fragte mich – sie war vor mir die führende Kraft – ob ich übernehmen möchte. Ich habe das bis heute nie bereut.
FRIZZ: Ihre Mutter war die Geschäftsführerin seit 1954 – wie kam es dazu?
Hans-Jörg André: Mein Opa ist kurz nach dem Krieg schon gestorben und dann ist das Unternehmen auf meine Großmutter und Großtante übergegangen. Später, als meine Oma starb, führten meine Großtante und meine Mutter das Geschäft. Sie waren eigentlich nicht darauf vorbereitet. Aber es kamen öfter Frauen in der Firmengeschichte vor – auch um 1880 rum schon.
FRIZZ: Was liegt Ihnen besonders am Herzen in Bezug auf Ihr Musikgeschäft?
Hans-Jörg André: Ich bin sehr froh, dass Musik und Musikinstrumente unser Geschäftsmodell ist. Ich habe große Ambitionen, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass Musik machen eine besonders schöne Sache ist und richtig Spaß machen kann. Ich habe im Laufe der Jahre viele Leute kennen gelernt, die mit einer ganz persönlichen Geschichte ins Musikmachen reinkamen – das liegt mir sehr am Herzen. Viele denken, sie haben kein Talent und probieren es erst gar nicht aus. Da komme ich ins Spiel – und außerdem kann man auch ohne Talent viel Spaß am Musizieren haben. Es bereichert das Leben ungemein. Möglichst viele Leute sollen die Möglichkeit bekommen, es einfach mal auszuprobieren und da sehe ich mich als Mittler.
FRIZZ: Machen Sie selbst auch Musik? Und wenn ja, was denn?
Hans-Jörg André: Ich spiele Klavier. Wenn man im Musikbusiness arbeitet, hat man viele Freunde, die richtig gute Musiker sind. Ich sehe meine Aufgabe eher woanders. Ich organisiere auch gerne den Tag der Musik in Offenbach, ich spiele auch gern für mich zuhause Klavier zum Entspannen. Meine Söhne Moritz und Mateo sind aktive Musiker.
Moritz: Spielen Sie auch ein Instrument?
FRIZZ: Ja, Klavier und Klarinette – mein Lieblingskonzert ist das Klarinettenkonzert in A-Dur von Mozart. Ich habe mir das Konzert im Capitol vor Kurzem auch angehört – einfach wunderbar. Wenn Anton die Stücke zur damaligen Zeit nicht aufgekauft hätte, wer weiß, ob man das Klarinettenkonzert je zu Gehör bekommen hätte. Darum bin ich sehr dankbar … Ja, jetzt geht es ja um den Übergang bei Ihnen beiden – die 8. Generation sind Sie dann schon, Moritz. Ist es schon lange klar, dass Sie das Geschäft übernehmen möchten?
Moritz: Fest steht es seit etwa zwei Jahren. Ich war eigentlich der Einzige, der wirklich im Gespräch war, da Musik in meinem Leben schon lange eine große Rolle spielt. Trotzdem war es lange nicht klar, denn ich war sechs Jahre in Berlin – Johann ist damals auch nach Berlin gegangen als Dirigent eines Orchesters und wollte deshalb den Verlag nach Berlin verlegen, das hat aber nicht geklappt, aus diesem Grund ist er wieder nach Offenbach gekommen. Ja, da kommen Parallelen auf (lacht). Ich habe dort in einem Start-up gearbeitet und war viel online und am PC, nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass es mir viel mehr Spaß macht, mit Leuten zu arbeiten. Wenn dann noch neben der Arbeit genug Zeit für Musik bleibt, bin ich sehr happy.
FRIZZ: Spielen Sie in einer Band?
Moritz: Ich habe ein Solo- und ein Duoprojekt mit meinem Bruder Mateo und habe auch schon viel mit anderen Musikern gemacht.
FRIZZ: Was ist das für Musik?
Moritz: Ich sage immer Pop-Musik, das ist aber zu pauschal. Es sind auf jeden Fall Pop-Strukturen mit Reggae-Elementen. Viele der Songs findet man auch auf Spotify und YouTube.
FRIZZ: Haben Sie Ideen, wie Sie das Musikhaus/Verlagshaus weiterführen möchten, bzw. wollen Sie auch etwas verändern?
Moritz: Was wir jetzt schon verändern, ist der Zugang zu unserem Archiv – der war eingeschränkt und nur für einige wenige Wissenschaftler:innen zugänglich. Ich habe mich hauptsächlich um die Noten und um die Scans der Noten gekümmert – und durch das Jubiläum ist nun mehr und mehr in die Öffentlichkeit gerückt, was bei uns unten im Archiv lagert. Es sind unglaublich viele schöne Stücke, die der Öffentlich (noch) nicht bekannt sind. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen Zugang zu unserem Archiv bekommen.
Hans-Jörg André: Vielleicht könnte man auch Forschungsprojekte anstoßen – hier gäbe es dann Finanzierungsmöglichkeiten bzw. Forschungsgelder. Das geht aber, wenn es ein Privat-Archiv ist, nicht.
FRIZZ: Ja, das würde sich mit Sicherheit lohnen. Auch die gesamte Korrespondenz, die sich dort unten befindet …
Moritz: Ja, und es gibt auch wenige Leute, die das lesen können … (lacht).
Hans-Jörg André: Aber man kann sich reinlesen, und unsere Musikwissenschaftler:innen, die im Archiv forschen, lesen das einfach runter …
FRIZZ: Ganz anderes Thema, Sie haben keinen Online-Shop.
Moritz: Ja, das stimmt. Ganz bewusst nicht. Diese Entscheidung halte ich für richtig, denn dann stehen wir in Konkurrenz mit riesigen Unternehmen. Man kann unser Geschäft nicht mit einem Online-Shop vergleichen – vor allem, wenn es um den Service geht, den wir anbieten. Viele Instrumente müssen getestet und angespielt werden.
Hans-Jörg André: Wir hatten es in der Vergangenheit versucht, aber man transportiert eine falsche Idee und das falsche Signal. Wenn jemand etwas günstig kaufen möchte, ist er bei uns falsch. Aber wenn jemand beraten werden möchte, wenn man ihm hilft, das richtige Produkt rauszufinden oder den Vorschlag macht, dass das Instrument auch erst mal geliehen werden kann, bevor es vielleicht gekauft wird, dann sind die Leute bei uns richtig. Hier im Laden können wir unsere Kompetenz ausleben und Kund:innen gut beraten. Das ist das Signal, was wir senden möchten.
FRIZZ: Man muss Instrumente sehen, anfühlen, ausprobieren können …
Hans-Jörg André: Wenn beispielsweise jemand kommt und nach einer Gitarre Ausschau hält, öffnet das eine Riesen-Auswahl an Instrumenten. Ganz wichtig – hat derjenige schon gespielt oder ist er Anfänger … hier kommen wir und unsere Beratung ins Spiel. Oft bekommen wir auch die Kollateralschäden des Internets bei uns im Laden zu sehen – die Kunden kommen mit einem dort gekauften Instrument zu uns und fragen sich, warum es nicht richtig funktioniert. Wir können nicht über den Preis punkten, unsere Expertise ist die Beratung und die qualitativ hochwertigen Instrumente, die wir von zertifizierten Herstellern anbieten – die wir für uns selbst auch teilweise extra anfertigen lassen.
FRIZZ: Was ist mit Social Media?
Moritz: Wir sind ein kleines Team – aber ja, das läuft so nach und nach an – jetzt grade auch im Festjahr umso mehr, da versuchen wir unsere Veranstaltungen auch über Social Media zu kommunizieren. Es ist eben auch wichtig, Leute zu erreichen, die ansonsten nicht hier in den Laden kommen würden.
FRIZZ: Haben Sie noch andere Ideen, die Sie gerne umsetzen würden?
Moritz: Ja, ich habe mit meinem ältesten Bruder die Online-Vermietung von Instrumenten gestartet. Das Ganze wurde sehr gut angenommen und ich möchte diese Option wieder mehr in den Fokus rücken. Dadurch kann man flexible Möglichkeiten bieten – und vielleicht auch wieder den Zugang zum klassischen Handel entstehen lassen. Auch durch den Kulturpass für alle 18-Jährigen (in diesem Jahr ist das Budget 100 Euro) – Musikinstrumente sind glücklicherweise auch Kulturgüter – sind viele junge Menschen zu uns in den Laden gekommen. Das hat mich einerseits sehr gefreut, aber andererseits hat es mich auch stutzig gemacht, denn diese Generation bewegt sich größtenteils im Internet. Es wäre natürlich schön, wenn wir das ändern könnten.
FRIZZ: Gibt es im nächsten Jahr eine feierliche Übergabe, wenn Sie die Geschäftsleitung übernehmen?
Moritz: Das haben wir noch nicht besprochen (lacht).
Hans-Jörg André: Geplant ist es zum Jahreswechsel, wenn das Jubiläumsjahr vorüber ist. Ja, da müssen wir wirklich drüber nachdenken – feierliche Übergabe – so etwas in der Art werden wir machen (lacht). Es macht auf jeden Fall sehr viel Spaß, in der Musikbranche arbeiten zu dürfen und ist ein großes Privileg für mich. Auch die Zusammenarbeit mit meinem Sohn …
Moritz: Ja, das sehe ich genauso.
Hans-Jörg André: Es sind noch tolle Jubiläums-Veranstaltungen bis zum Jahresende geplant – spannend und inspirierend – auch unbekannte Stücke aus dem Archiv werden zu hören sein. Beispielsweise auch Werke, die seit 150 Jahren nicht mehr gespielt wurden – wie die Musiker:innen diese Stücke interpretieren, das ist ja ganz entscheidend. Sie haben zwar die Noten aber keinerlei Interpretationsansätze … Das ist eine große Herausforderung für alle, denn sie sind verantwortlich für dieses Werk, deshalb stecken sie unglaublich viel Herzblut hinein. Die Bandbreite der Musik ist einfach toll – auch avantgardistische Stücke sind dabei … eben nicht nur Stücke von vor 250 Jahren, denn wir sind im Hier und Jetzt und haben deshalb auch neue Kompositionen im Programm. Diese Kombination finde ich richtig, richtig gut!
FRIZZ: Dann wünsche ich Ihnen beiden viel Spaß dabei und Ihnen, Moritz, einen tollen Einstieg Anfang nächsten Jahres! Danke an Sie beide für das nette Gespräch!
Musikhaus André
Frankfurter Str. 28 | Offenbach
Das gesamte Jubiläumsprogramm unter www.andre250.de