Am 25. Mai um acht Uhr abends starb George Floyd durch Polizeigewalt. Der fünffache Familienvater war einer von vielen schwarzen Menschen, die so in den USA ihr Leben verloren haben. Die Welt stand und steht auf, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren.
Abertausenden Menschen aller Hautfarben, darunter viele Prominente und auch Polizisten knien sich acht Minuten lang schweigend hin, ein Symbol für die quälende Zeit, in der George Floyd mit dem Tode rang. Sein „I can’t breathe“ blieb ungehört, der auf seinen Nacken kniende Polizist ließ auch auf das Bitten des Mannes nicht nach. Und wieder starb ein dunkelhäutiger Mensch in den Staaten während eines Polizeieinsatzes. Und nicht nur dort. Auch in Deutschland gibt es ungeklärte Fälle, in denen schwarze Menschen in Zusammenhang mit Polizeieinsätzen zu Tode kamen, existiert Rassismus, auch wenn dieser oftmals ganz leise daherkommt. Und auch wenn das N-Wort aus unserem Sprachgebrauch verschwunden ist oder es zumindest scheint, so ist es doch in vielerlei Köpfen nach wie vor präsent. Tausende von Menschen haben auch hierzulande demonstriert und tun es wieder. Das ist gut. Noch besser und wichtiger aber ist es, für eine gerechtere Gesellschaft weiterzukämpfen, auch nachdem der Schock über den gewaltsamen Tod von George Floyd nachgelassen hat und die Zeitungen mit „frischen“ Neuigkeiten aufwarten. Gleichstellung schafft Harmonie und das gereicht uns allen zum Vorteil, egal ob schwarz oder weiß.
FRIZZ Das Magazin sprach mit schwarzen Deutschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe schon Rassismus erfahren mussten, über ihre Erfahrungen, Diversität und ihre Wünsche und Forderungen an die Politik, an den Medien, an uns allen.
Hadija Haruna-Oelker
Redakteurin und Moderatorin, hadija-haruna.de
Rassismus in Amerika. Den gibt es auch in Europa, in Deutschland. Wie sieht es bei uns in Frankfurt aus? Rassismus gibt es überall und deshalb auch unsere von Multikulti-Politik geprägte Stadt. Der Anti-Schwarze Rassismus, über den wir aktuell sprechen hat hierzulande seinen Ursprung in der Kolonialgeschichte. Ein Kapitel das wenig aufgearbeitet wurde. Die Folge ist ein Alltagsrassismus. Das andere der, der der in den Strukturen steckt. Es sind nicht weiße Menschen, die die Erfahrung machen, ohne Grund von der Polizei kontrolliert zu werden.
Rassistisch motivierte Polizeigewalt. Ist die Polizei wirklich „auf dem rechten Auge blind“? Wie sind Maßnahmen zur Eindämmung dieser seitens der Polizei zu werten? Wir haben in den letzten Jahren so viele Fälle in Frankfurt und Hessen diskutiert. Erinnert sei an den quasi Präzendenzfall eine Kasseler Studenten, der 2012 das Thema Racial Profiling als Thema und Begriff in den Mainstream brachte. Er hatte gegen eine rassistisch motivierte Bundespolizeikontrolle geklagt und gewonnen. Oder der Fall des körperlich verletzen Ingenieurs Derege Wevelsiep, der zwei Jahre für sein Rechte gekämpft hat. Oder der hessische Polizeiskandal, der sich rund um den Fall der Seda Anwältin Basay-Yildiz entwickelt hat. Und ganz aktuell gab es die Verurteilung eines Oberkommissars in Frankfurt, der einen Schwarzen Mann schikaniert und rassistisch beleidigt hat. Was die Maßnahmen angeht ist da viel Luft nach oben. Es gibt noch immer keine unabhängige Beschwerdestelle, damit nicht die Polizei gegen die Polizei ermitteln muss und bei einer Polizeistudie des Innenministeriums, in der das Selbstbild und die Gesinnung unter den Beamten erfragt werden sollte, wurden nach hr-Recherchen tausende Bereitschaftspolizisten ausgeschlossen.
Derzeit gehen weltweit Hundertausende auf die Straße, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrierten. in Frankfurt waren es Zehntausend. Was können und müssen wir noch tun? Ein wirklicher Wandel wäre, wenn wir uns jetzt vertieft mit dem Thema auseinandersetzen und alltägliche Strukturen, Abläufe und Organisationen sich selbst kritisch überprüfen würden. Aber dazu muss zunächst jeder bei sich selbst anfangen – bitte ohne Schuldgefühle.
Ist die Berichterstattung der Presse wie aktuell praktiziert so sinnvoll? Dort würde ich mir auch mehr Diversität und Reflexion wünschen. Es macht einfach einen Unterschied, ob vor und hinter der Kamera ein Team die Inhalte und Umsetzungen diskutiert und bestimmt, dass alle Menschen in unserer Gesellschaft repräsentiert. Dann verändern sich nicht nur der Blick auf die Themen, sondern auch die Sprache.
Christelle N.
Macht man als Frau noch einmal andere Rassismuserfahrung als Männer? Selbstverständlich machen Frauen/nicht-cis-männlich positionierte Personen andere Rassismuserfahrungen. Wir leben unter anderem in einer patriarchalen Gesellschaft und diese Unterdrückungsform greift mit Rassismus und anderen Diskriminierungsformen ineinander. Deshalb können und dürfen sie nicht unabhängig voneinander betrachtet und gedacht werden. Stichwort: Intersektionalität und Kimberlé Crenshaw. Hinzu kommt, dass im patriarchalen System ganz bestimmte Körper- und Schönheitsnormen vermittelt werden, die all jene Körper und Personen, die diesen Normen nicht entsprechen, ausgrenzt. Das ist jetzt stark heruntergebrochen, damit will ich allerdings klarmachen, dass es einfach wichtig ist, gerade diese Perspektive immer mitzudenken.
Wo fängt Rassismus an? Es beginnt schon bei Alltagsrassismen, spürbar durch Mimik, Gestik und auch Sprache. Sich in einer Gesellschaft zu bewegen, die dir im Grunde permanent vermittelt, nicht erwünscht zu sein, ist eine Belastung. Hinzu kommen dann die Ebenen von institutionellem und strukturellem Rassismus. Und auch hier ist es wichtig, wie schon erwähnt, die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Diskriminierungsformen zu betrachten.
Was muss die Politik tun, was die breite Masse, was jeder einzelne? Politik: Forderungen von politischen Organisationen ernst nehmen und umsetzen. Deutsche Kolonialgeschichte aufarbeiten. Eine der wichtigsten aktuellen Forderungen: Bildungspläne Rassismus kritisch aufbauen. Breite Masse: Lasst die Personen, die Rassismus erfahren, nicht in der Vereinzelung in den Momenten! Handelt solidarisch! Jede einzelne Person: Privilegien checken und sich mit den eigenen Rassismen auseinandersetzen. Google hilft manchmal.
Rassismus betrifft so viele. Spürst du gerade ein Zusammenrücken oder wie ist dein Gefühl? Ich habe tatsächlich Bedenken, ob das nicht nur ein “Trend” ist, weil es im Grunde „uncool” ist nicht gegen Rassismus zu sein. Aber Rassismus gibt es nicht erst seit dem grausamen Mord an George Floyd. BIPoC Menschen machen schon Jahrzehnte darauf aufmerksam. Ich kann nur hoffen, dass die Mehrheitsgesellschaft endlich bereit ist an die Strukturen zu gehen und sie sich intensiv mit den Mechanismen und der Wirkung von Rassismus auseinandersetzt.
Anne ChebuInfuenzerin (Instagramm „Anleitung zum Schwarzsein“, Moderatorin
Auf Instagram postest du unter „Anleitung zum Schwarzsein“. Was können wir darunter verstehen?Ja, auf Instagram, Facebook, YouTube und Twitter - das ist der Titel meines Buches, das 2014 erschien. Es ist eine Einführungshilfe für schwarze Jugendliche, die anfangen, sich mit ihrem Schwarzsein und Rassismus auseinanderzusetzen. Es soll dabei helfen ein positives Selbstbild aufzubauen. Im Buch erfahren die Leser*innen etwas zu Selbstbezeichnungen, Alltagsrassismus und afrodeutscher Geschichte.
Wann ist ein Mensch schwarz oder weiß? Die Begriffe Schwarz und weiß richten sich nicht nach der genauen Farbnuance einer Hautfarbe. Sie bilden vielmehr die soziokulturelle Realität ab: Was erlebt ein Schwarzer Mensch? In welchem System lebt er*sie? Schwarz zu sein ist für mich auch ein politisches Statement. Eine Eigenbezeichnung, kein Adjektiv. Deswegen schreibe ich Schwarz groß.
Hast Du auch „Richtlinien“ für weiße Menschen? Mein Buch richtet sich an Afrodeutsche und das ist einmalig in Deutschland, dass mal nur ein Schwarzes Publikum gemeint ist. Sonst werden immer weiße Menschen angesprochen und Schwarze und People of Colour müssen sich dann irgendwie mitreindenken, auch wenn sie eine andere Lebensrealität haben. Weißen Menschen kann ich empfehlen, bei sich zu bleibe, und ihre eigenen Privilegien zu hinterfragen. Es gibt spannende Bücher und Workshops zum Thema „critical whiteness“ – kritische Weißseinsforschung.
Wo kommst Du her? Was impliziert diese so gerne gestellte Frage für schwarze Menschen? Wenn die Antwort akzeptiert wird, ist die Frage okay. Meine Antwort darauf ist: „Komme aus Nürnberg, lebe in Frankfurt.“ Das Problem entsteht, wenn weiter gefragt wird: „Woher kommst du wirklich? Woher kommen deine Eltern?“ Das ist grenzüberschreitend. Es hat nichts mit „Interesse an der Person“ zu tun. Es sind Zuschreibungen. In vielen Köpfen hat Deutschsein immer noch was mit weiß sein zu tun. Aber Deutsche können unterschiedlich aussehen. Schwarze Menschen leben seit Jahrhunderten hier, wir sind fester Teil dieser Gesellschaft. Wir wollen nicht als „anders“ markiert werden. Wer wirkliches Interesse hat, fragt lieber: „Wer bist du? Welche Hobbys hast du? Welche Musik hörst du? Kochst du gerne?“
Eric Otieno
Politikwissenschaftler und Lehrbeauftragter an der Uni Kassel
Protest und Reformen sind Deine Forschungsgebiete. Wie schätzt du den Einfluss der Proteste ein, was den Blick auf Rassismus angeht?
Aus der Forschung weiß ich, dass es Jahre braucht, um zu sagen ob Proteste was gebracht haben oder nicht. Zu den Protesten der letzten Wochen gibt es aber erste Indizien dafür, dass sie auch hierzulande eine beispiellose Dynamik in der Debatte ausgelöst haben. Nachrichtensprecher Klaus Kleber nahm die Worte “Weiße Mehrheitgesellschaft” in den Mund, und so viele Schwarze Expert*Innen in Talkshows gab es noch nie. Auf einmal werden Forderungen diskutiert, die seit Jahren vom Tisch waren wie zum Beispiel die Streichung des Wortes “Rasse” aus dem Grundgesetz.
2. Es sind diverse Gruppen und Menschen auf die Straße gegangen. Es geht auch um die Rolle Schwarzer Geflüchteter im Kontext von Polizeigewalt. Inwiefern?
Polizeigewalt trifft immer jene am härtesten, die auch zu ‚normalen’ Zeiten kaum Aufmerksamkeit bekommen. Latent rassistische gesellschaftliche Einstellungen gibt es überall, auch bei der Polizei. Das Risiko für Schwarze Geflüchtete ist somit erhöht, auch weil sie öfter kontrolliert werden als andere Personengruppen. Aufgrund ihrer prekäre und marginalisierte Gesellschaftliche Lage bekommen wir im Zweifelsfall gar nicht erst mit, wenn sie Polizeigewalt erfahren.
3. Rassismus ist Alltag. Welche Strategien hast Du im Umgang damit? Man lernt irgendwann bestimmte soziale Dynamiken, die im Verlauf potenziell rassistisch werden recht früh zu erkennen. Ich entziehe mich der Situation dann soweit möglich. Ansonsten Bewerbe ich mich seit sieben Jahren grundsätzlich (und erfolgreich) ohne Foto und schicke weiße Personen stellvertretend zu Wohnungsbesichtigungen.
4. Was muss geschehen, um die aktuelle Situation zu verändern? Wir müssen an die Strukturen ran (Polizei, Behörden, Schulen, Arbeits- und Wohnungsmärkte) mit Appellen an Individuen kommen wir seit Jahren nicht weiter. Rassismus muss gesellschaftliche Konsequenzen haben: Von starker Widerrede hin zu Strafrechtliche Maßnahmen, sonst verändert sich nichts.
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