
© capelight pictures
August Diehl als Woland in „Der Meister und Margarita“.
Seit heute Morgen läuft die Heizung wieder in diesem Wintermai; einen Tag mussten wir auf Wärme verzichten. Irgendeine Baumaßnahme im Westen Berlins. Der kommunale Energieversorger hielt es nicht für nötig, seine Kund:innen darüber zu informieren. Über solch eine kleine Einschränkung können die Menschen in der Ukraine nur mit den Achseln zucken – das Land befindet sich nach dem russischen Überfall am 24. Februar 2022 im vierten Kriegsjahr. Mit seiner Hinhaltetaktik und seinen unhaltbaren Forderungen konterkariert Zar Putin die von der Ukraine angeregte Aufnahme von Verhandlungen ohne Vorbedingungen ein ums andere Mal und führt den amerikanischen Präsidenten vor. Die EU steht wie immer (nicht geschlossen) hinter der Ukraine und hat gerade das 18. Sanktionspaket gegen Russland beschlossen. Die Maßnahmen dürfen aber nationale Interessen nicht gefährden. Nach wie vor importiert Deutschland Gas aus Russland, nach wie transportiert die russische Schattenflotte Erdöl über die Ostsee, nach wie vor bezieht die Atommacht Frankreich angereichertes Uran aus Russland.
Gleichwohl passieren im neuen Zarenreich bisweilen erstaunliche Dinge, zumindest im Kino. Die Neuverfilmung von Michail Bulgakows Roman “Der Meister und Margarita” durch den russisch-amerikanischen Regisseur Michael Lockshin wurde zum umsatzstärksten Film aller Zeiten in Russland und spielte über 2 Milliarden Rubel ein. Nicht weniger erstaunlich: der Film wurde sogar vom russischen Filmfonds gefördert. Dabei ist schon im Roman eine subtile Auseinandersetzung mit dem Stalinismus angelegt, dessen Allmacht von Woland, einem Wiedergänger von Mephisto, ein ums andere Mal konterkariert wird. In Lockshins opulentem Fantasyfilm spielt August Diehl brillant-diabolisch diese Rolle, den Meister Jewgeni Zyganow, und Margarita gleichfalls sehr überzeugend Julija Snigir. Am Ende triumphieren Woland und sein sprechender Kater Behemoth über die irdischen Mächte, ein Moskau der Moderne steht in Flammen. In der Kritik fiel der Film durch. Das russische Publikum wird die Parallelen zum Putinismus sehr wohl verstanden haben, etwa wenn der Meister in der Psychiatrie mit Elektroschocks “behandelt” wird.
Vor vierzig Jahren kam Michail Gorbatschow ins Amt und prägte die Begriffe Glasnost und Perestroika. Die Sowjetunion zerfiel, und die Ostblockstaaten wurden unabhängig. Dieser Zerfall muss für Putin traumatisch gewesen sein – sein Ziel ist die Restauration, mehr noch: die Errichtung eines postmodernen Zarenreiches. Das hat der neue Bundeskanzler beim feierlichen Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45 „Litauen“ ganz klar benannt. “Merz hat in seiner Rede”, lobt die FAZ, “einen Satz gesagt, der das Zeug hat, zu einem viel verwendeten Zitat zu werden: ‚Der Schutz von Vilnius ist der Schutz von Berlin.‘ Die Stationierung der Bundeswehrbrigade in Vilnius zeigt, dass die entscheidenden politischen Kräfte in Deutschland endlich verstanden haben, was auch schon vor zehn Jahren sichtbar war. Von Vilnius nach Berlin sind es nur 800 Kilometer – nur wenig weiter als von der Ostgrenze der Ukraine nach Kiew. Der Satz von Merz ist wörtlich zu nehmen.“ (23.05.25) “Machen wir uns Illusionen? Häufig. Machen Illusionen uns? Immer.” Wer wollte Karl Karius widersprechen.
Erk Walter
Weitere Beiträge wahnundwerk.blog