
© Ursula Kaufmann
Ein Glücksfall beim Berliner Theatertreffen: “Kontakthof – Echos of 78”.
Wenn die Prognosen eintreffen, werden wir uns nach diesen grauen, kalten Maitagen noch zurücksehnen. Bei aller gebotenen Vorsicht sind sich die Meteorologen einig – es droht in Deutschland heuer ein extremer Hitzesommer. “Der Wärmestau im Nordatlantik lasse einen außergewöhnlich heißen Sommer erwarten, hieß es vom Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) in Hamburg. Diese Prognose decke sich mit Vorhersagen des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen, das ebenfalls von einem sehr heißen bevorstehenden Sommer ausgehe.” (GEO, 15.05.25) Spätestens dann werden viele registrieren, dass die Klimapolitik im Kabinett des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz am Katzentisch sitzt. Die Konsequenzen der Erderwärmung werden gewaltig und sehr teuer sein. Um Steuererhöhungen wird keine Regierung herumkommen. Bis 2029 muss der Bund mit 33,3 Milliarden weniger Einnahmen kalkulieren. Und eine Erhöhung des Wehretats auf 5% vom BIP würde jährlich mit 215 Milliarden Euro zu Buche schlagen; das hat gerade der neue Außenminister Johannes Wadepfuhl insinuiert. Der gesamte Bundesetat 2025 sieht übrigens 488,84 Milliarden Euro vor.
Zu dieser bedenklichen Perspektive passt das Programm des Berliner Theatertreffens in diesem Jahr. “Das Stück (‘Double Serpent’, ein Missbrauchsstück von Ersan Mondtag) fügt sich in eine Tendenz der diesjährigen Festival-Auswahl: Suggestive, vorzugsweise düstere Atmosphären und Raumerfahrungen prägen das Zehner-Tableau“, befindet Christian Rackow auf dem Theaterportal “Nachtkritik”. Eine Ausnahme stellt sicherlich “Kontakthof” von Pina Bausch dar, das 1978 Premiere in Wuppertal hatte und von den noch lebenden Tänzer:innen wieder auf die Bühne gebracht wird. Das Interesse ist riesig, viele versuchen vor dem Haus der Berliner Festspiele, noch Karten zu bekommen. Die Szenen in einem alten Tanzsaal zu Musik von knisternden Schellackplatten erzählen vom Zusammenspiel der Geschlechter; “Kontakthof – Echos of 78” verbindet raffiniert auf Film gezeigte Szenen mit dem Tanz der in die Jahre gekommenen Tänzer:innen. Noch immer beherrschen sie ihren Körper, noch immer können sie faszinieren.
Der Reiz dieser Choreographie von Meryl Tankard liegt nicht zuletzt darin, dass sie eine Zeitreise unternimmt, bei der viele im Publikum mühelos zusteigen können. Wer waren wir damals? Wer sind wir geworden? Leichtfüßig (noch immer) versichert sich die Truppe ihrer eigenen Geschichte. Ein Glücksfall, dass diese Produktion zum Theatertreffen eingeladen wurde. Langer und einvernehmlicher Applaus. Überhaupt fällt in diesem Jahr positiv auf, wie offen die Jury das Programm zusammengestellt hat. Eine Florentina Holzinger lässt sich so wenig dem “klassischen” Theater zurechnen wie “(EOL). End of Life. Eine virtuelle Ruinenlandschaft”, in der die Teilnehmer:innen mit VR-Brillen ein fiktives “Metaverse 1.0” betreten und über den Fortbestand virtueller Welten entscheiden müssen (Programm-Flyer). Leider haben wir diese Erfahrung verpasst und sind nun gespannt auf Ersan Mondtags Produktion “Double Serpent” vom Hessischen Staatstheater Wiesbaden.
Es wird einiges geboten im sogenannten Wonnemonat.
Erk Walter
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