© Foto: Nicolas Wefers
Naomi Beckwith, die künstlerische Leitung der documenta 16, soll 2027 den angeschlagenen Ruf der wichtigsten Kunstmesse der Welt wieder herstellen.
“Fritze Merz erzählt gern Tünkram”, keilte Olaf Scholz gegen den Kanzlerkandidaten der Union zurück. Friedrich Merz hatte dem unbeliebtesten Kanzler aller Zeiten vorgeworfen, er verhalte sich bei EU-Gipfeln häufig sehr zugeknöpft. Da hat Scholz, der gerne comichafte Verkürzungen wie Wumms oder Bazooka einsetzt, wieder einen rausgehauen. Vielen ist der Begriff Tünkram überhaupt nicht bekannt. Ich kenne das Verb aus meiner Kindheit. Wenn ich etwas erzählte, was nicht stimmen konnte, bekam ich zurück: “Du tünst ja.” Jahrzehntelang hatte ich dieses Wort nicht gehört oder benutzt. Es klingt nicht so abwertend und hart wie lügen, eher nach einem geheimen Einvernehmen zwischen den Handelnden. Für mich hatte es immer die Konnotation “das glaubst Du doch wohl selber nicht.” Ehrabschneidend klingt Tünkram für mich nicht, aber es zeigt doch, hier steht einer unter unter Druck. Was treibt diesen Olaf Scholz an, der jeden Tag mächtig einstecken muss und keine Fortüne im Amt hatte.
Sein Selbstbewusstsein ist unerschütterlich, oder liegt da schon eine Selbsttäuschung vor? Die Zahlen des aktuellen ARD-Deutschland-Trends lesen sich für die Parteien der gescheiterten Zukunftskoalition ernüchternd: SPD und Grüne jeweils 14%, FDP 3%. Noch ernüchternder die Umfrage zur Beliebtheit der Kandidaten und der Kandidatin -Friedrich Merz (CDU) 28%, Robert Habeck (Grüne) 27%, Olaf Scholz (SPD) 19% und Alice Weidel (AfD) 17%. Der kurze Winterwahlkampf dürfte deshalb hart und persönlich werden, zumal keine Partei schlüssige und finanzierbare Konzepte vorlegt, wie Deutschland, das Schlusslicht aller G7-Staaten, wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen soll. Das Geschäftsmodell, billig Rohstoffe zu importieren, um dann teuer Fertigprodukte zu exportieren, hat keine Zukunft mehr. Deutsche Waren sind international oft nicht mehr konkurrenzfähig. Unternehmenssteuern senken, wie das CDU und FDP insinuieren, hilft da nicht; erst recht nicht die Staatsausgaben steigern (SPD). Eine schonungslose Bestandsaufnahme muss her - eine Agenda 2040.
Die erfolgte zu spät nach dem Debakel der documenta 15. Viel zu lange wurde 2022 laviert und relativiert, als es massive Proteste gegen den unverhohlenen Antisemitismus auf der bedeutenden Kunstmesse gab. “Es war eine mutige und richtige Entscheidung”, notierte ich damals, “die documenta fifteen von ruangrupa kuratieren zu lassen, dem Globalen Süden eine prominente Plattform zu geben. Dass der Antisemitismus dort weit verbreitet und akzeptiert ist, muss der Findungskommission klar gewesen sein; an Warnungen hat es nicht gefehlt. Die bedeutende Kunstausstellung wurde keine „Antisemita“ (Der Spiegel), aber Antisemitismus im Namen der Kunstfreiheit zu tolerieren sollte ausgeschlossen sein.” Nun ist es an Naomi Beckwith, den Ruf der documenta wieder herzustellen. “Die am New Yorker Guggenheim-Museum tätige Kunsthistorikerin”, schreibt Kathrin Geraldine Bode (Redaktionsleitung FRIZZ Das Magazin für Kassel), “wird die documenta 16 im Jahr 2027 kuratieren – das ist großartig. Bei ihrer Vorstellung überzeugte sie mit großer Expertise und viel Herz – und sie wird internationales Renommee in unsere Stadt bringen. Seit der d12 im Jahr 2007 habe sie jede documenta gesehen, berichtete Beckwith, sie sei sofort ‘obsessed’ vom Konzept der Kunstschau gewesen. Trotz der verkürzten Vorbereitungszeit wird die documenta 16 vom 12. Juni – 19. September 2027 in Kassel stattfinden – ich freue mich auf diese documenta und unsere Gastgeberrolle für nationales und internationales Publikum.” Zumindest da kommt Freude auf.
Erk Walter
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