
© Wolfgang Ennebach / AlamodeFilm
Ohne sie hätte es "The Köln Concept" nie gegeben: Mala Emde als Vera Brandes.
Same procedure as every year. Die Berlinale ist klasse, der Wettbewerb schwach. Die neue Festivalchefin Tricia Tuttle konnte bei der 75. Ausgabe des Festivals da (noch) keine neuen Impulse setzen. Warum Filme im Wettbewerb laufen, lässt sich oft nicht nachvollziehen. Das mag strategische Gründe der Verleiher haben, zeigt aber wieder einmal, dass die Berlinale zwar das größte Publikumsfestival der Welt ist, Cannes und Venedig aber ein größeres Renommée besitzen. Die stärksten Filme, die wir in diesem Jahr gesehen haben, liefen nicht im Wettbewerb sondern in anderen Sektionen. “Köln 75” etwa erzählt spannend von der ersten bis zur letzten Minute die Geschichte des legendären Köln Concert von Keith Jarrett, das die erst 18-jährige Vera Brandes allen Widrigkeiten zum Trotz durchführte. Längst hat dieses Ereignis einen eigenen Eintrag bei Wikipedia: “The Köln Concert ist die Albumaufnahme des Improvisations-Solokonzertes des Pianisten Keith Jarrett, das in der Kölner Oper am 24. Januar 1975 stattfand. Es ist die meistverkaufte und bekannteste Veröffentlichung von Jarrett, außerdem die meistverkaufte Jazz-Soloplatte und meistverkaufte Klavier-Soloplatte.”
Im Berlinale Special liefen auch “Das Licht” von Tom Tykwer, das Biopic “A Complete Unknown” über den jungen Bob Dylan (Timothée Chalamet ist für den Oscar nominiert) und “Mickey 17”, der großartige neue Film des koreanischen Regisseurs Bong Joon-ho (“Parasite”). Dieser Mickey ist das 17. Reprint des Helden, dessen Mission es ist, immer wieder zu sterben. Aber in “Niflheim” ist das kein Problem: der 3D-Drucker spuckt problemlos den nächsten Mickey aus. Mit dieser Technologie kann man Menschen beliebig oft reproduzieren. Das wird hoffentlich nie gelingen. 137 Minuten fesselt diese Utopie wahrer Menschlichkeit, die mit einer zutiefst weisen Entscheidung endet. In dieser Sektion lief gleichfalls “Heldin” mit Leonie Benesch in der Hauptrolle. Quasi dokumentarisch schildert Petra Volpe den ganz normalen Wahnsinn einer Schicht auf einer onkologischen Station, die von nur zwei Schwestern eigentlich nicht zu schaffen ist. Erstaunlicherweise lässt sich ein überwiegend junges Publikum genauso auf die 245-minütige Doku “Palliativstation” ein; das Delphi ist nachmittags voll besetzt.
Man darf gespannt sein, wie die aktuellen Disruptionen in der Welt auf der nächsten Berlinale reflektiert werden. Oder ist das gar nicht mehr möglich, diese Dynamik der Veränderungen in Filmen einzufangen. Trump und seine Tech-Oligarchen verschieben die Machtverhältnisse in Amerika dramatisch zu ihren Gunsten und kündigen die bisherige Weltordnung auf, in deren Windschatten es sich Deutschland bestens eingerichtet hatte. Womöglich raufen sich die Europäer nun endlich zusammen, statt sich von den USA und Russland spalten zu lassen. Danach sieht es derzeit aber nicht aus. Der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer reisen nächste Woche nach Washington. Von der EU-Spitze ist niemand dabei, ebenso wenig der noch amtierende Kanzler Olaf Scholz. Nach der Bundestagswahl am Sonntag geht die Ära Merkel endgültig zu Ende.
Erk Walter
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