Vor allem junge Frauen wissen um den Begriff Catcalling, mit dem verbale sexualisierte Übergriffe gemeint sind. Gegründet 2015 in New York, hat sich jetzt auch die Frankfurter Initiative CATCALLSOFFFM aufgemacht, Catcalling anzukreiden. Interview: Heidi Zehentner
„Hey Blondine, ich will dich ficken ...!“, tönt es von einer Männergruppe an der Konstabler, als Marlene vorbeiläuft. Wie soll sie reagieren? Den Zuruf ignorieren oder verbal zurückschlagen? Nur, was ist, wenn die Männer dann handgreiflich werden? Marlene schweigt, geht nach Hause. Es geht ihr schlecht, sie fühlt sich gedemütigt und erniedrigt. So ergeht es alltäglich Tausenden von Catcalling-Opfern. Doch diese Übergriffe als das ernst zu nehmen, was sie sind, nämlich verbalisierte Gewalt, fällt vielen schwer. „Stell dich nicht so an“, heißt es da oder „Nimm es doch als Kompliment!“. Es sei kein Kompliment, ganz im Gegenteil, erklärt Marlene. Sie hat die Frankfurter Initiative CATCALLSOFFFFM gegründet. „Ich musste aktiv werden und mit der Initiative, die es in vielen Ländern bereits gibt, auch Frankfurter Frauen ein Forum bieten. Auf der Instagram-Seite können sich Betroffene melden, Ihre Geschichte erzählen, die dort gehört bzw. gelesen wird und in einer Kreideaktion mündet. „Wir gehen an dem Ort, an dem das jeweilige Catcalling stattgefunden hat, kreiden den Spruch dort auf Asphalt und erobern für die betroffene Frau den Platz zurück.“ Das geschieht an vielen Orten, zum Beispiel vor der Alten Oper oderan der Konstabler, aktuell bereite man das Ankreiden u.a. in Preungesheim vor. Die Kreideschriftzüge sind so lange zu sehen, wie es das Wetter ermöglicht. Im öffentlichen Raum, an Orten, wo viele Menschen Tag für Tag vorbeigehen, möchte die Initiative das Bewusstsein für ein Problem schärfen, das viele nicht als Problem begreifen und das doch Alltag für viele Frauen und Mädchen ist.
Schwester, Freundin, Tochter
Die mit bunten Kreiden geschrieben Sprüche springen ins Auge. „Geile Titten …“ „Zeig mir deine Fotze …“, „Hast du Durst? Weil ich nämlich pissen muss!“. Gerne werden Körperteile kommentiert, ohne Scheu, ohne Respekt. Frauen auf geschlechtsspezifische Merkmale reduziert. Schlimme Sprüche, aber was folgt dann? Ist das vielleicht erst der Anfang einer körperlichen Attacke? Fragen wie diese stellen sich die betroffenen Frauen und Mädchen häufig. Während des Ankreidens würden immer wieder Menschen stehen bleiben, nachfragen – und manchmal auch von eigenen Erfahrungen berichten, erzählt Marlene. Erfahrungen, die Jahre zurückliegen und sich in die Seelen gebrannt haben. Aber es kommen auch Aussagen, ob man nicht andere Probleme habe ... Da solle man drüberstehen. „Catcalling löst Leid aus. In dem Moment, in dem eine Frau dies als Belastung empfindet – im Grunde eigentlich immer – ist es ein Problem, mit dem die Betroffene klarkommen muss“, so Marlene. Die 34-jährige Frankfurterin kümmert sich mit vier anderen Frauen um den Instagram-Account CATCALLSOFFFM. Wichtig sei es ihr, auch Männer mit dem Ankreiden zu erreichen, sie zu sensibilisieren und dazu anzuregen, dem Kumpel beim nächsten „dummen“ Spruch nicht auf die Schulter zu schlagen und mitzulachen. Catcalling könnte auch die eigene Tochter betreffen, die Schwester, die Freundin.
Stichwort Zivilcourage
„Dein Arsch ist geil …“ Die junge Frau zuckt zusammen, traut sich nichts zu sagen, versucht, unsichtbar zu werden. Und was tun die Menschen, die dabeistehen. „Mein Name ist Hase“ oder vielleicht doch Zivilcourage zeigen? Was kann jede:r Einzelne von uns tun? Und vor allem, wie? Es sei nicht immer ratsam, den Aggressor direkt anzusprechen, besser sei es, sich zum Beispiel bewusst zur Betroffenen zu stellen, um sie auch physisch zu stärken. Ein immer wieder geäußertes Vorurteil ärgert Marlene sehr: „Catcalling wird von Männern jeden Alters und jeder Herkunft betrieben. Und ganz sicher nicht erst seitdem Geflüchtete bei uns leben.“ Catcaling habe es immer schon gegeben. Eine Frau habe ihr von einem Volksfest erzählt, auf dem ein Mann ihr angeboten habe, sich auf seinen Schoß zu setzen, damit sie mal was Warmes zwischen die Beine bekäme …“ Das war vor über 20 Jahren.
Wenige Minuten, dann ist der Catcall auch schon vorbei. Schnell dahergesagte Sprüche, die so viel Leid auslösen – und Unsicherheiten. Was, wenn er glaubt, die „geilen Titten“ auch anfassen zu dürfen? Besser. frau überlegt sich gut, welche Kleidung sie wann tragen wird, tragem darf, um nicht wieder Obszönitäten über sich ergehen lassen zu müssen – oder Schlimmeres. Sind Frauen doch selbst schuld, provozieren Catcalling gar, weil der Rock zu kurz, der Ausschnitt zu groß ist… Noch immer gärt dieser Unsinn in vielen Köpfen. „Es hat sich schon viel verändert, Frauen und Mädchen werden mehr wahrgenommen und nehmen sich selbst und ihr Gefühle auch ernster. Trauen sich, von ihren Erlebnissen zu erzählen und gewinnen Stück für Stück ihr Selbstvertrauen zurück.
Marlene,-Initiatorin-CATCALLSOFFFM
Catcalling (auch Cat-calling, deutsch etwa „Katzen-Rufen“) bezeichnet sexuell anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum wie das Hinterherrufen sowie Nachpfeifen für gewöhnlich durch Männer gegenüber Frauen, es stellt eine Form der verbalen sexuellen Belästigung dar.