Noch ist keine Rede von Entspannung, noch sind die Zahlen der sich täglich infizierenden Personen weit über dem Vertretbaren, die Kurve des Inzidenzwertes (Neuerkrankungsrate) ist bei weitem nicht ausreichend abgeflacht, um Entwarnung zu geben. Restaurants, Theater, Clubs bleiben geschlossen – auf unbestimmte Zeit. Die Schulen haben auf, Kinder und Jugendliche werden vor Ort unterrichtet. Warum das so bleiben muss, erklärt uns Frankfurts Bildungsdezernentin Sylvia Weber im Gespräch.
Die Coronaauflagen werden verschärft, Veranstaltungen sind abgesagt, Restaurants, Kinos und Theater geschlossen, die Schulen aber setzen nach wie vor auf Präsenzunterricht. Wie ist das zu rechtfertigen?
Alle diese harten Maßnahmen dienen ja dem Ziel, Infektionen einzudämmen und die Schulen offen zu halten. Bevor wir also über eine Schließung von Schulen sprechen, müssen erst alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sein. Während des ersten Lockdown haben wir erfahren, dass die Schließung massive Folgen hat: Erstens hat sich die Ungleichheit verschärft, Kinder aus bildungsfernen Familien oder zugewanderte Kinder hatten keine Chance, den Anschluss an ihre Mitschüler*innen zu schaffen. Zweitens sind die Hilferufe in den Beratungsstellen gestiegen, denn nicht für alle Kinder ist die Familie ein sicherer Ort. Und drittens führt die Schließung von Schulen dazu, dass Eltern sich um Kinderbetreuung und Homeschooling kümmern und nicht oder nur eingeschränkt arbeiten können. Das verringert ihr Einkommen, schadet der Wirtschaft und – im Falle von Pflegepersonal – auch dem Gesundheitssystem usw. Würden wir die Schulen schließen, stünden die Familien erneut vor einer ganz schwierigen Situation.
Immer mehr Kinder und Jugendliche stecken sich laut Expert*innen mit dem Coronavirus an. Der Krankheitsverlauf ist, wenn es überhaupt zu einem Ausbruch kommt, meist sehr milde. Doch junge Menschen sind potenzielle Virenüberträger*innen. Es sind Stimmen von Lehrer*innen zu hören, die eine Ansteckung durch die Kinder befürchten. Was sagen sie jenen, die sich Tag für Tag einer Ansteckung aussetzen?
Lehrkräfte, Mitarbeitende in der Jugendhilfe genauso wie Erzieher*innen haben eine herausragende Bedeutung für unsere Gesellschaft, für die Bildung und Erziehung unserer Kinder. Das wird in einer Krise besonders deutlich. Ich verstehe auch, dass viele sich Sorgen machen. Gleichzeitig höre ich auch von Lehrkräften, dass wir am Präsenzunterricht festhalten sollen. Nach dem, was wir wissen, ist das auch zu verantworten. Sowohl Studien als auch die Testergebnisse unserer Einrichtungen bestätigen, dass Schulen keine gefährlichen Orte sind, solange Masken getragen und die Hygieneregeln beachtet werden. Die Übertragung in Kitas und Grundschulen ist sehr gering, von einzelnen Ausnahmen abgesehen. Die Infektionsrate steigt ab der 9. Klasse, wenn die Jugendlichen ihr Sozialleben außerhalb der Schule entdecken. Meist werden Infektionen von Erwachsenen auf die Kinder übertragen und nicht umgekehrt. Daher zielen unsere derzeitigen Maßnahmen auf die Kontaktbeschränkung bei Erwachsenen. Die aktuell sinkenden Infektionszahlen geben auch keinen Anlass, Maßnahmen zu verschärfen.
Forscher*innen befürchten, dass Präsenzunterricht in Schulen Neuinfektionen begünstigt. Wäre eine digitaler Unterricht nicht besser, um das irengeschehen einzudämmen? Eine Schule im hessischen Bürstadt in der Bergstraße bietet ein Modell aus Präsenz- und Distanzunterricht an. Es wird daran gearbeitet, die Klassen zu halbieren und jeweils im Wechsel Präsenz- und Abstandsunterricht zu gewährleisten. Schüler*innen, die nicht über einen Laptop verfügen, bekommen diesen vom Landkreis geliehen. Ein Modell auch für Frankfurt?
Ein solches Modell haben wir im Frühjahr in unseren Kitas und Horten eingeführt und es „Frankfurter Richtlinien für den eingeschränkten Regelbetrieb“ genannt. Es bedeutet, dass alle Kinder wieder die Hälfte der Zeit zu Hause sind und Homeschooling machen. Natürlich schaffen wir gerade die technischen Voraussetzungen dafür. Aber darum geht es nicht. (Anmerkung der Redaktion: doch, darum sollte es gehen) Es geht um das Zusammensein mit Freund*innen, das Lernen in der Gruppe und alles andere, was Schule ausmacht – das kann kein Homeschooling ersetzen. Gerade für Kinder aus armen Familien sind die Folgen spürbar, z.B. weil sie zu Hause kein Zimmer zum Lernen haben. Eltern und Beratungsstellen bitten uns, die Schulen offen zu lassen, auch die „Familien in der Krise“ und der Grundschulverband.
Die Schulschließung in der ersten Welle zeigten auch in Frankfurt deutliche Missstände mit der digitalen Versorgung von Lehrer*innen und Schüler*innen auf. Was wurde getan, um bei einer erneuten Schließung der Bildungseinrichtungen adäquaten digitalen Unterricht anbieten zu können?
Leider bin ich bei der Digitalisierung der Schulen zwei Jahre lang aufgehalten worden, sonst hätten die Schulen zu Beginn der Pandemie schon eine gute Ausstattung gehabt. Jetzt arbeiten wir mit Hochdruck daran, die Voraussetzung für digitalen Fernunterricht zu schaffen. Wir haben 9.000 Laptops ausgeliefert für Schüler*innen, die keinen Computer besitzen. Wir stellen ein Budget von 1.000 Euro pro Schule bereit, um Kameras, Headsets etc. zu kaufen. Und wir bieten eine Plattform mit Erklärfilmen und Best-Practice-Beispielen für den Distanzunterricht. Wir werden nächstes Jahr 100 Schulen mit WLAN ausstatten und alle anderen in 2022. Übrigens braucht man für den digitalen Fernunterricht kein WLAN in der Schule. Wir haben inzwischen alle Schulen mit einem Gigabit-Glasfaseranschluss versehen, sodass digitaler Fernunterricht per Kabel über das Schulnetz problemlos gelingt.
Homeoffice, der Unterricht der eigenen Kinder. Viele Eltern fürchten die Doppelbelastung, mit der sie schon beim ersten Lockdown sehr zu kämpfen hatten. Wie könnte bei einer erneuten (Teil-)Schließung der Schulen eine sinnvolle Entlastung aussehen?
Die Eltern befürchten diese Doppelbelastung zu Recht und wir werden alles daransetzen, damit dieser Fall nicht wieder eintritt.
Weihnachten wird in diesem Jahr wohl in einer anderen Weise zelebriert werden (müssen). Ohne Oma und Opa, ohne Tanten, Cousins, ohne Enkelkinder. Da macht sich wohl keine*r mehr etwas vor. Ein Albtraum gerade für Menschen, die alleine sind oder im Heim leben. Wie aber kann das Familienfest dennoch ein solches werden und wie werden Sie Weihnachten feiern?
Wir sollten jetzt erst mal abwarten, was der Teil-Lockdown bringt. Weihnachten wird vermutlich nicht so stattfinden, wie wir es gewohnt sind. Das beschäftigt mich auch. Ich werde das Fest mit meiner Familie verbringen und – wenn die Situation es zulässt – auch mit Freunden. Die aktuellen Maßnahmen dienen ja gerade dazu, dass in der Familie gefeiert werden kann, dass Menschen die Kirchen besuchen oder in ein Restaurant gehen können. Noch dürfen wir darauf hoffen, besonders wenn wir uns jetzt alle an die Maßnahmen halten und unsere Kontakte reduzieren.