
Peter Feldman ist abgewählt, bevor ein:e Nachfolger:in gewählt wird, übernimmt die derzeitige Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg kommissarisch das Oberbürgermeister-Amt. Wir haben nachgefragt, welche Ziele sie sich gesetzt hat und welche Themen zudem noch Priorität für die Politikerin haben.
Von einer Bürgermeisterin zur Oberbürgermeisterin Frankfurts. Wie fühlt sich das an und was sind die Unterschiede beider Ämter?
Ich empfinde Dankbarkeit und Demut. Als kommissarische Oberbürgermeisterin obliegt mir die Führung im Magistrat. Diese Rolle werde ich auch ausfüllen, mir ist aber vor allem die Kollegialität in der Stadtregierung wichtig. Eitelkeiten, Selbstdarstellungen und Handeln ohne Abstimmung darf es nicht mehr geben. Ein Beispiel: Als eine der ersten Entscheidungen stand die Nachbesetzung der Aufsichtsräte in den städtischen Gesellschaften und Betrieben an. Ich hätte es mir einfach machen und alle Mandate von Peter Feldmann übernehmen können. Das habe ich nicht getan, sondern für eine faire und fachlich orientierte Verteilung der Mandate gesorgt. Das heißt konkret: Ich übernehme nicht automatisch den Vorsitz der Aufsichtsräte.
Multikulturelles Zusammenleben, bezahlbarer Wohnungsraum, Leerstand in der Innenstadt … Welche dringlichsten Aufgaben stehen 2023 an?
Zunächst möchte ich dafür sorgen, dass Frankfurt seinen guten Ruf zurückerhält und verlorenes Vertrauen der Bürger:innen in die Arbeit der Stadtregierung zurückgewonnen wird. Beides, Frankfurts Ruf und das Vertrauen der Bürger:innen, haben zuletzt arg gelitten. Ganz besonders wichtig ist mir, dass wir uns für die drohende Energiekrise wappnen und dafür sorgen, dass niemand in seiner Wohnung friert. Hier ist schon einiges getan worden, bisher allerdings ohne Beteiligung der Oberbürgermeisterin. Außerdem sollen Menschen Hilfe erhalten, die ihre Nebenkosten oder ihre Gasrechnung nicht mehr zahlen können. Schließlich geht es darum, die Vorbereitungen für das Paulskirchenjubiläum im Mai 2023 voranzubringen. Auch da ist zuletzt einiges liegengeblieben. Ein besonderes Anliegen ist mir die Neuausrichtung der Ausländerbehörde. Kurzfristig braucht die Behörde Unterstützung, um den Rückstau bei den Anfragen abbauen zu können. Mittelfristig soll aus der Ausländerbehörde ein Welcome-Center werden.
Und dann sind da noch die internationalen Beziehungen der Stadt. Es darf keine Pause bei den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen geben. Der zehnte Jahrestag der Städtepartnerschaft mit der türkischen Stadt Eskişehir steht an, da müssen wir jetzt mit der Planung beginnen. Und es muss geklärt werden, wie unsere Beziehungen mit Izmir gestaltet werden sollen. Die Kontakte nach Tel Aviv und Yokohama müssen intensiviert werden, und eine Delegationsreise nach Ho Chi Min-Stadt steht an.
Oberbürgermeisterin auf Zeit. Warum nicht dauerhaft? Nicht wenige haben Ihre Kandidatur für das OB-Amt erwartet.
Ich habe immer gesagt, dass ich sehr gerne Bürgermeisterin dieser Stadt, meiner Heimatstadt, bin. Ich bin bundesweit die erste Geflüchtete in diesem Amt. Das macht mich auch ein bisschen stolz. Mein Anspruch ist, diese Arbeit gut zu machen. Ich habe große Lust, den Menschen und meiner Stadt etwas zurückzugeben. Dabei bleibt es. Wer aber erwartet, dass ich als Bürgermeisterin nur repräsentative Aufgaben wahrnehme, der irrt sich. Ich werde weiter eingreifen, gerade wenn es darum geht, den Interessensausgleich in der Stadt zu organisieren, ohne Gegensätze zu kaschieren.
Im Iran leben freiheitsliebende Frauen nach wie vor in großer Gefahr. Ein Thema, das sehr bewegt. Wie können wir, wie können Sie helfen?
Wichtig ist, dass der Protest nicht nur im Iran, sondern international weitergeht. Jede Demo ist eine Hilfe, weil sie das Thema Menschenrechte im Iran öffentlich macht. Das setzt die Mullahs unter Druck. Deshalb habe ich bereits in Frankfurt auf unzähligen Kundgebungen gesprochen, aber auch vor dem EU-Parlament in Brüssel. Ich setze mich dafür ein, dass die diplomatischen Beziehungen zu Iran abgebrochen werden und es keinen Atom-Deal gibt. Die bisherigen Sanktionen der EU sind gut, reichen aber noch nicht aus. Hilfreich sind auch Patenschaften für politische Gefangene von Bundestags- und Landtagsabgeordneten. Da wünsche ich mir mehr. Denn es besteht eine realistische Chance, dass im Iran die Demokratie siegt und das Unrechtsregime abgelöst werden kann. Es wird passieren, die Frage ist nur wann.
Gute Vorsätze? Welche sind die Ihren für das neue Jahr?
Antwort Bürgermeisterin: Ich möchte die Amtsgeschäfte der Oberbürgermeisterin kommissarisch bis zu zur Amtseinführung des oder der neuen OB ausfüllen. Mein Vorsatz ist, den Neustart für Frankfurt so einzuleiten, dass er dann von der oder dem neuen OB nahtlos fortgeführt werden kann. Es soll keine Brüche geben. Wichtig ist mir, dass die inhaltliche Arbeit des Magistrats wieder in den Vordergrund tritt.
Patenschaftsprogramm der Gesellschaft für Menschenrechte
>> Infos: igfm.de/hossein-mohammadi
Die anhaltenden revolutionären Proteste im Iran machen Hoffnung auf eine Wende in dem Land. Das Mullah-Regime versucht jedoch, den Widerstand mit brachialer Gewalt zu unterdrücken. Bisher wurden etwa 18.000 Menschen festgenommen und 470 getötet. Außerdem verhängt das Regime Todesurteile gegen politische Gefangene. Zwei Urteile wurden bereits vollstreckt, die Rede ist von etwa 15 weiteren geplanten Hinrichtungen. Politische Patenschaften von Politikerinnen und Politikern aus Bund und Land haben bereits zur Freilassung, zumindest aber zu Hafterleichterungen, von politischen Gefangenen geführt. Das Patenschafts-Programm für politische Gefangene hat die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) initiiert. Bei diesem Programm wählen Abgeordnete einen konkreten politischen Gefangenen aus und setzen sich für seine oder ihre Freiheit ein. Das geschieht vor allem dadurch, dass der oder die Abgeordnete sich an den:die Botschafter:in und die entsprechende Regierung wendet und per Brief Fragen zu dem oder der politischen Gefangenen stellt. Bisher wurden für Inhaftierte in Iran bereits 110 Patenschaften abgeschlossen.