„Dialektik der Präsenz“ lautet der Titel der Ausstellung, die der Künstler und Kunstwissenschaftler Hans Dieter Huber auf Einladung der Kunststiftung DZ BANK in den vergangenen zwei Jahren entwickelt hat. Darin spürt er dem Spannungsfeld zwischen Anwesenheit und Abwesenheit in fotografischen Kunstwerken nach. Was bedeutet Präsenz und wie tritt sie in Kunstwerken zutage? Wann und wie nehmen wir Präsenz wahr? Und kann etwas, das nicht zu sehen ist, dennoch präsent sein?
Hans Dieter Huber nähert sich in seiner Ausstellung in mehreren Abschnitten verschiedenen Lesarten, für die er insgesamt 45 Kunstwerke von 29 Künstlerinnen und Künstlern aus der Sammlung der DZ BANK zusammengetragen hat.

© Courtesy L. A. Galerie - Lothar Albrecht, Frankfurt am Main
John Hilliard, Off Screen (No. 5), 1999
Anwesenheit durch Abwesenheit
Leerstellen verweisen in den Arbeiten von John Hilliard (* 1945, Lancaster, England, Vereinigtes Königreich) auf das Paradox, dass genau das, was nicht gezeigt wird, Präsenz erlangt. Für seine Arbeit „Off Screen (No. 5)“ aus dem Jahr 1999 hat der Künstler das abgelichtete Filmpublikum hinter die Leinwand „umpositioniert“ und lässt es aufmerksam auf die Rückseite einer leeren Projektionsfläche schauen. Die ausgerollte weiße Leinwand wird so für uns Betrachterinnen und Betrachter zu einer Leerstelle, die durch unsere Fantasie aufgefüllt werden muss.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Timo Kahlen, Phosphor-Photographie, 1992 / 1994 (Detail)
Die Wahl des Materials
Timo Kahlens (* 1966, Berlin, BRD) „Phosphor-Photographien“, 1992 sind beispielsweise als leuchtende ‚Nach-Bilder‘ konzipiert. Dafür baut sich der Künstler zunächst selbst eine Camera obscura aus denkbar einfachen Materialien: Verwendet werden ein Pappkarton, Klebeband und eine Linse. An die hintere Innenwand, also jenen Bereich im Kamerakasten, in dem sich normalerweise der Negativfilm befindet, setzt Timo Kahlen eine Glasplatte, die er zuvor mit phosphoreszierendem Material mehrfach beschichtet hat. Phosphoreszenz ist ein fotophysikalischer Prozess, bei dem durch die kurze Einwirkung von UV-Licht im Dunkeln ein (Nach-)Leuchten hervorgerufen wird. Als Motiv seines Experiments wählte er den Blick in einen Garten. Durch den Einfall des Lichts in das Kamera-Innere wird auf diese Weise auf dem Glasträger ein Leucht-Bild der Gartenmöbel erzeugt: Nach einer ca. 30-sekündigen Belichtung der beschichteten Glasplatte setzt im Dunkel der wieder verschlossenen Pappkamera ein grünes Nachleuchten des chemischen Stoffes ein, das nach kurzer Zeit wieder verlischt. Dieses ‚Nach-Bild‘, den Prozess des Leuchtens und Erlöschens, in dem sich das Bild ständig verändert, hält Timo Kahlen dann mit einer gewöhnlichen, industriell hergestellten Kamera fest.

Loredana Nemes, Unal II, Neukölln, 2009, aus der Serie: beyond
Zeigen und Verbergen des eigenen Selbst
Ein weiterer Aspekt der Ausstellung ist das Zeigen und Verbergen des eigenen Selbst, wie es etwa in den Arbeiten von Loredana Nemes (* 1972, Sibiu (Hermannstadt), Rumänien) umgesetzt wird. 2009 fotografiert die Künstlerin für ihre Werkreihe „beyond“ männliche Besucher der türkischen und arabischen Kaffeehäuser in Berlin. Mit ihrer Linhof-Plattenkamera nimmt sie Fassaden von Kaffeehäusern und Teestuben in den Berliner Stadtteilen Wedding, Neukölln und Kreuzberg auf und porträtiert die Gäste durch die Milchglasscheiben oder Gardinen, mit denen das Interieur der Cafés gegen die Blicke der Öffentlichkeit abgeschirmt wird. Die Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen nur schemenhaft die Gesichter und das Geschehen in den Rückzugsorten der „Männerwelt“, zu dem Nicht-Mitgliedern und Frauen der Eintritt verwehrt bleibt. Vielleicht gelingt es Loredana Nemes gerade durch ihre Distanz wahrende Aufnahme, in der sie den Porträtierten eine Abwesenheit, ein „nicht alles Preisgeben“ in ihrer Anwesenheit zugesteht, den Männern in ihren Fotografien Präsenz zu verleihen.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Hans-Peter Feldmann, Zwei Mädchen mit Schatten, 2011
Die Ausstellung fächert ein breites Spektrum an Lesarten des Themas „Präsenz“ auf und bietet den Ausstellungsbesucherinnen und -besuchern die Möglichkeit, Präsenz im Moment der Kunstbetrachtung immer wieder neu und anders zu erfahren und zu reflektieren.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation.
Denkanstöße
„Bilder zwischen Präsenz und Absenz“
Donnerstag, 30. November 2023, 18 Uhr
der Kurator Prof. Dr. Hans Dieter Huber im Gespräch mit Dr. Sebastian Baden (Direktor der SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT)
Öffentliche Führungen
Donnerstags um 18 Uhr, an jedem letzten Freitag im Monat um 17.30 Uhr
Die Veranstaltungen sowie der Eintritt sind kostenfrei. Bitte melden Sie sich über die Webseite an: https://kunststiftungdzbank.de/vermitteln/
Adresse
DZ BANK Kunststiftung gGmbH
Platz der Republik, 60325 Frankfurt am Main
Öffentlicher Zugang: Friedrich-Ebert-Anlage/Cityhaus I
Öffentliches Parkhaus „Westend“
Öffnungszeiten
Dienstag bis Samstag 11 bis 19 Uhr
Eintritt frei