© Felix Grünschloss
Der Stadtteil Gallus hat eine lange Geschichte. Es wird Zeit, sich historisch dem Viertel anzunähern, besonders in Bezug auf das Thema Arbeit, auf die Auswirkung von Zwangsarbeit bis heute, auf die Sicht der Nachkommen von „Gastarbeiter:innen“.
Redaktion: Heidi Zehentner
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Arbeit und Heimat stehen in der jüngeren Geschichte Deutschlands in einem engen und schwierigen Verhältnis zueinander. Im Nationalsozialismus stellten die rassistische Unterwerfung von Zwangsarbeiter:innen und die Ideologie der „deutschen Arbeit“ ein oft tödliches System der Ausbeutung dar. Wie wirken Teile dieser ideologischen Muster bis heute fort? Wie blicken Nachkommen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter:innen auf Möglichkeiten der „Beheimatung“ in Deutschland, wie ehemalige „Gastarbeiter:innen“, wie ihre Kinder- und Enkelgeneration und wie Menschen auf der Suche nach Schutz und Arbeit? Wie setzen sich Ausschlüsse und Abwertungen fort? Was kann, was muss (neu oder wieder) erzählt werden? Wie können wir fragen, wie Worte und Bilder finden, wie lebensgeschichtliche Brüche, aber auch Erfolgsgeschichten sicht- und hörbar machen? Frankfurt ist stolz auf seine „gelebte Diversität“ – Wunschbild oder Wirklichkeit?
„Gallus-Geschichten“ geht in miteinander verwobenen Projekten diesen Fragen nach – und zwar spezifisch im Frankfurter Stadtteil Gallus mit seinen Initiativen zur Aufarbeitung von NS-Verbrechen und Zwangsarbeit, seiner Geschichte von Arbeitskämpfen, Marginalisierung und migrantischer Selbstorganisation. In performativen Formaten, die mit professionellen Künstler:innen entwickelt werden, lassen sich die emotionalen Dimensionen der Geschichten erfassen und eigene „Zeitzeugenschaften“ erleben. In einem Crossover von Generationen, Communities, Geschichtsinitiativen, Vereinen und Begegnungszentren im Frankfurter Stadtteil Gallus und den Kooperationspartner:innen entsteht ein intergeneratives Performanceprojekt.
Gallus-Geschichten: „Aus freien Stücken?“, Januar bis Juni 2025, diverse Orte im Gallus
Ausgangspunkt ist der Frankfurter Stadtteil Gallus: Arbeiterstadtteil der 1920er-Jahre, Standort des KZ-Außenlagers Katzbach in den Adlerwerken mit Tausenden von Zwangsarbeiter:innen vornehmlich aus Osteuropa und direkt im Anschluss für sogenannte „Gastarbeiter“. Im Saalbau Gallus fand 1963 bis 1965 der Frankfurter Auschwitz-Prozess statt.
Eine zentrale Rolle für die inhaltliche Recherche spielt der Geschichtsort Adlerwerke im Gallus. Als Produzent von Motoren und Fahrzeugen zählten die Adlerwerke für die nationalsozialistischen Machthaber zu den kriegswichtigen Industriebetrieben. Wie bereits im Ersten Weltkrieg fuhr das Frankfurter Werk nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 die Produktion von Rüstungsgütern für die Wehrmacht hoch. Mit dem Fortgang des Krieges wurden immer mehr wehrfähige deutsche Männer eingezogen, die schließlich als Arbeiter fehlten. Ab 1941 beschäftigten die Adlerwerke daher im System der Zwangsarbeit Kriegsgefangene und ausländische Zivilarbeiter:innen. Interdisziplinär arbeiten das Schauspiel Frankfurt und der Geschichtsort Adlerwerke mit seiner Expertise zur Geschichte der Adlerwerke, Zwangsarbeit und zur sogenannten „Gastarbeiter“-Generation im Gallus in Kooperation mit lokalen Vereinen und Begegnungszentren sowie dem Historischen Museum zusammen. Das Konzept der „Zeitzeugenschaft“ wird hier intergenerationell mit Nachkommen von Verfolgtengruppen des NS-Regimes und Arbeitsmigrant:innen der ersten Generation zur Gestaltung von gemeinsamen Erzählungen genutzt.
Es entstehen theatrale Interventionen im Stadtraum, Reels für Social Media und szenische Bilder in Zusammenarbeit mit professionellen Künstler:innen. Ergebnisse dieser Arbeiten werden in einer Theaterperformance im Gallus-Theater zusammengefasst und öffentlich präsentiert.
„B-Heimat. Orte der Sehnsucht“, Premiere am 8. März 2025, Kammerspiele
Auf Grundlage der Erfahrungen während der Recherchen im Gallus entwickeln Jugendliche mit einem künstlerischen Team einen professionellen Theaterabend für alle in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt. Alle Präsentationen werden Austauschformate mit dem Publikum enthalten und von Social Media-Kampagnen und Schulprogrammen begleitet.