To Kuehne
Die Hessische Beratungsstelle response berät und unterstützt seit Februar 2016 Menschen, die von rassistischer Gewalt betroffen sind. Das Angebot der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt arbeitet unabhängig von Behörden und auf Wunsch anonym.
Alltäglichen Rassismus sichtbar machen und Betroffene Werkzeuge an die Hand zu geben, damit umzugehen, das hat sich die Beratungsstelle response auf die Fahnen geschrieben. Im April 2018 startete die Kampagne #istalltag. Kurzclips, die auf Facebook mehr als 75.000 Mal aufgerufen wurden und in vielen hessischen Kinos laufen Die Filme zeigen die Protagonst*innen Victoire Laly („Tatort“/„The Misandrists“) und Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“, ausgzeichnet mit dem Grimme Preis und dem Deutschen Fernsehpreis). Beide werden rassistisch angefeindet. Die Clips demonstrieren diverse Formen von Alltagsrassismus, wie sie Betroffene an einem typischen Tag in Frankfurt (oder in jeder anderen Stadt) erleben (können). Offene Beleidigungen, abwertende Sprüche, das Spektrum an subtilen und offenen Diskriminierungen ist groß. In den gezeigten Clips gehen die beiden Betroffenen damit souverän und ruhig um und zeigen Stärke. Die gezeigten Szenerien sind nicht erfunden, zahlreiche Beratungsgespräche mit Betroffenen dienten als Vorlage. Es sind die subtilen und alltäglichen Erlebnisse, die genauso treffen wie offene und körperliche Gewalt. Betroffene erfahren Rassismus nicht nur in der direkten Konfrontation, sondern auch dann, wenn die fehlende solidarische Reaktion des Umfelds ausbleibt. Wenn weg- statt hingeschaut und keine Solidarität gezeigt wird. Gar noch Mitschuld oder Provokation den Betroffenen unterstellt wird und es so zur „Täter-Opfer-Umkehr“ kommt.
„Wir möchten Menschen mit der Aktion #istalltag dafür sensibilisieren, Aussage und Wirkung von Personen trennen. Man schreibt bestimmten Personen bestimmte Eigenschaften zu, nur aufgrund ihres Äußeren. Antimuslimischer Rassismus ist derzeit sehr virulent. Auch nicht gläubige Muslime werden angegriffen und erfahren Zuschreibungen und Rassismus“, so Roman Jeltsch, stellvertretender Leiter von response.
„Das Ziel war, das Beratungsangebot bekannter zu machen.“
Der ZEIT-Journalist und Sohn marokkanischer Eltern Mohamed Amjahid veröffentlichte 2017 sein Buch: Unter Weissen“ (Hanser Berlin), in welchem er versteckten Rassismus thematisiert und unter anderem eben jene Zuschreibungen aufführt: „Für einen Araber hast du aber erstaunlich liberale Ansichten“ oder auf seine Aussage, dass er Atheist sei, sich mit folgender Antwort konfrontiert sieht: „Muslime sind ja meistens total fanatische Menschen.“ Prügelnde Neo-Nazis sind die Spitze des Eisbergs, response macht sich dafür stark, auch alltägliche Formen von Rassismus als solchen zu benennen und Betroffene zu unterstützen.
„Wenn selbst Moderatorinnen und Moderatoren öffentlich-rechtlicher Medien bei der Berichterstattung über die Hochzeit zwischen Prinz Harry und Meghan Markle nicht mit Bemerkungen über einen „exotischen“ Hintergrund der Braut sparen, sitzt das Problem tief“, sagt Roman Jeltsch.
Das 20-köpfige Filmteam um Regisseur Lars Becker („Tatort“, „Kanak Attack“) arbeitete pro bono. Das kleine Budget der Beratungsstelle deckte gerade mal die Kosten für den Dreh, Verpflegung und die Reisekosten. Die Premiere der Kurzclips fand Ende April im „Mal Seh’n“ Kino statt. Seitdem laufen sie in hessischen Kinos, auf Filmfestivals und natürlich auf YouTube.
Auch Prominente wie die Comedytruppe „Datteltäter“, Moderatorin Bärbel Schäfer, der Schriftsteller Feridun Zaimoğlu und die Autorin Stefanie Sargnagel machen auf die Kampagne aufmerksam. Der von der Beratungsstelle moderierte Hashtag #istalltag macht Erfahrungen Betroffener sowie Diskussionen zu alltäglichem Rassismus sichtbar. Posts auf Flacebook und Twitter informieren über die Perspektive Betroffener: „Erst durch die Videos bin ich auf den Gedanken gekommen, dass auch ich von response Unterstützung bekommen könnte.“
Viele Betroffene melden sich aus Angst vor weiterer Gewalt nicht bei den Behörden, sind eingeschüchtert. Nötigung und Bedrohung werden als „normaler“ Alltagsrassismus wahrgenommen und daher nicht zur Anzeige gebracht. response geht von einer Dunkelziffer nicht dokumentierter Vorfälle aus. 2017 zählte das LKA allein 600 rechts motivierte Straftaten in Hessen. Rassismus und auch seine subtilen Botschaften wie „Du gehörst hier nicht her“, „Du bist anders“ sind leider Alltag und der Aufklärungsbedarf ist nach wie vor hoch.
Oder um es mit den Worten der ZEIT-Journalistin Vanessa Vu zu sagen: „Rassismus ist kein menschlicher Defekt, keine unheilbare Krankheit. Er ist eine Erfindung der Menschen. Deshalb kann er auch von Menschen überwunden werden.“ (zeit.de)
response-hessen.de
Tel. (069) 56 00 02 41
Frankfurt (Hansaallee 150)
Kontaktformular Vorfall melden:
response-hessen.de/fallmeldung
Felix Schmitt
Fragen an Roman Jeltsch (stellvertretender Leiter, RESPONSE. Beratung für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt)
Wie und wann entstand die Idee zu der Beratungsstelle response?
Das Konzept der Beratungsstellen für Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt wurde nach dem erneuten Anstieg der Angriffszahlen seit 2014 auch für Hessen eingeführt. Vorbild waren dabei die Beratungsstellen in den neuen Bundesländern, die teilweise schon über 20 Jahre bestehen. Alle Beratungsstellen für Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt sind gemeinsam im VBRG – dem Bundesverband der Beratungsstellen für Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt organisiert.
Wie ist die Resonanz?
Response ist mit dem Beratungsangebot Anfang 2016 an die Öffentlichkeit getreten. Eine große Herausforderung ist die Frage danach, wie betroffene Personen von unserem Angebot erfahren. Daher weiten wir seitdem unsere Netzwerke kontinuierlich aus und arbeiten auch als Informationsstelle für rechte und rassistische Gewalt. Dies äußert sich in stetig steigenden Beratungsanfragen. 2017 haben wir eine Zweigstelle in Kassel eröffnet, waren in aufsuchender Arbeit aktiv und haben mehrere Fachtage umgesetzt.
Wird das Projekt deutschlandweit ausgeweitet? Gibt es Partnerprojekte in anderen Bundesländern? Europaweit? Und wenn das der Fall sein sollte, tauschen sie sich aus?
Unter https://verband-brg.de/ finden Sie die jeweiligen Projekte aus den anderen Bundesländern. Der VBRG organisiert einen engen Austausch zwischen den vielen neuen Mitglieder. Es entstehen derzeit eine Menge neuer Strukturen und Synergien.
Wieso fiel die Wahl der Protagonist*innen auf Victoire Laly und Kida Khodr Ramadan?
Für die Protagonist*innen kamen nur Schauspieler*innen in Frage, die selbst von Rassismus betroffen sind – und zu Victoire Laly und Kida Khodr Ramadan hatte die Agentur „Die Weberknechte“, die den Clip entworfen hat, bereits Kontakt. Laly und Ramadan zeigten sich sofort sehr interessiert und wollten das Projekt unterstützen. Gleiches gilt übrigens auch für den Regisseur Lars Becker, der den Clip für uns produziert hat. Aufgrund unseres Budgets, welches gerade so für die reine Produktion (Drehwochenende, Technik) ausreichend war, haben die Agentur, wie auch alle Darsteller*innen, das Filmteam und der Regisseur pro bono gearbeitet. Wir sind allen sehr dankbar, die sich für unsere Sache einsetzen und ihre Expertise und kostbare Zeit aufgewendet haben, um uns zu unterstützen.
Antisemitische Übergriffe häufen sich leider auch (wieder).
Warum zeigen Sie so einen Übergriff/eine Situation nicht in einem weiteren Clip? Haben Sie sich bewusst dagegen entschieden?
Die Idee, einen Clip zu Alltagsrassismus zu drehen, entstand aus unserer Beratungserfahrung: Die große Mehrheit unserer Beratungsnehmer*innen hat rassistische Gewalt erlebt. Natürlich beraten wir auch in Fällen von antisemitischen Übergriffen, genauso wie in Fällen von homosexuellen- und trans*feindlicher Gewalt oder sozialdarwinistischer Gewalt. Bei einem so kurzen Clip ist es allerdings schon eine Herausforderung, das Thema Rassismus zu behandeln, ohne es zu stark zu verkürzen oder wichtige Aspekte auszulassen, deshalb mussten wir uns beschränken. Bei entsprechender Finanzierung wären weitere Clips natürlich denkbar und auch wünschenswert.
To Kuehne
Drei Fragen an Victoire Laly (Schauspielerin)
1. Wie war Ihre Reaktion, als das Team von response an Sie herantrat, mit der Bitte in den Videoclips mitzuwirken?
Ich habe mich sehr gefreut, bei der Kampagne mitwirken zu dürfen. Es ist eine tolle Sache, dass es solch eine Anlaufstelle gibt, bei der Betroffene Hilfe und Beratung finden. Deshalb war es für mich ein Privileg, so eine Kampagne unterstützen zu dürfen.
2. Sind Ihnen die gestellten Situationen vertraut? Tatsächlich so auch schon passiert?
Leider sind mir einige solcher Situationen bekannt. Sei es, dass ich mit meinem Freund auf dem Weg zum Supermarkt bin, einer mit seinem Fahrrad vor uns anhält und sagt “Scheiße, schon wieder ein N ...“ oder ich mit meinem Neffen auf dem Spielplatz bin und während ich mich einer Bank nähere, um mich hinzusetzen, eine Frau – mit übrigens sehr schlechtem Englisch - und wild gestikulierend mir zuruft: „No, no sit please!“ Erstens: Geht sie davon aus, dass ich kein Deutsch spreche und zweitens: Warum glaubt sie, mir den Sitzplatz verweigern zu können?
Dann sitzt man daneben und muss sich anhören, wie die Flüchtlinge doch alle einfach erschossen gehören.
3. Ist es (Ihnen) tatsächlich immer möglich, so souverän und ruhig - wie in den Clips gezeigt - zu reagieren? Wie gelingt Ihnen das persönlich? Mit verbaler oder gar physischer Gewalt souverän umzugehen? Oder stumpft man irgendwann ab?
Das Ding ist, dass solche Situationen mittlerweile eben leider zum Alltag gehören. Man kann und möchte nicht jedes Mal seine Energie in solche Menschen stecken.
Ist es verletzend? Ja, selbstverständlich. Bleibt einem die Situation vielleicht sogar tagelang im Gedächtnis? Sicher. Außerdem muss man auch immer im Hinterkopf behalten, wie weit man in der jeweiligen Situation gehen kann. Als Frau möchte man sich auch nicht in Gefahr bringen. Das höchste der Gefühle wäre ja sowieso demjenigen zu zeigen:
Erstens: Ich spreche sehr gut Deutsch, vielleicht sogar besser als du!
Zweitens: Ich habe eine gute akademische Ausbildung.
Drittens: Ich arbeite (habe noch nie irgendjemanden auf der Tasche gesessen) und zahle meine Steuern.
Das sind ja Kriterien, die diese Menschen oft selbst nicht erfüllen.
Da will man also meistens einfach nicht mehr drauf reagieren.