Foto: Jochen Schneider
Debatten, Kaffeehäuser und Demos: In der Vormärzzeit war es in Frankfurt nicht langweilig. Im Jahr 1833 fand der sogenannte Wachensturm auf die Haupt- und Konstablerwache statt und ab 1848 tagte das erste frei gewählte Parlament, die Nationalversammlung, in der Paulskirche. Die Frankfurter Autorin Ines Thorn erzählt in ihrem neuen Roman von zwei sehr unterschiedlichen Frauen in dieser bewegten Zeit und blättert dabei auch ein Stück deutscher Verlagsgeschichte auf.
Ines Thorn ist eine leidenschaftliche Schreiberin: „Sobald ich schreibe, brenne ich für das Thema und die Figuren.“ Das merkt man ihren gut recherchierten Romanen an. Ihr neustes Buch „Der Horizont der Freiheit“ führt uns in das von den politischen Unruhen durchgerüttelte Frankfurt der Jahre 1845 bis 1848. Die junge Witwe Wilhelmine Pfaff muss alleine die Druckerei ihres verstorbenen Mannes weiter- führen. Politik interessiert sie so gar nicht, während sich ihre Freundin Henriette Zobel zunehmend radikalisiert, für Frauenrechte eintritt und gebannt die Debatten in der Nationalversammlung verfolgt. Wilhelmine sorgt sich unterdessen um die Geschäfte und pflegt enge berufliche Kontakte zu ihrem Nachbarn, dem spröden Verleger Joseph Rütten. Den jüdischen Kaufmann Rütten und seinen Kompagnon Zacharias Löwenthal gab es wirklich. Sie gründeten 1844 in Frankfurt die literarische Anstalt „Rütten und Loewenthal“, die sich später in „Rütten & Loenning“ umbenannte. Ihr erster Bestseller war der Struwwelpeter des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann. Sie verlegten Karl Marx, Friedrichs Engels und teilweise verbotene Autoren des jungen Deutschlands. Nach einer wechselvollen Geschichte ist das Label heute bei Aufbau angesiedelt und sitzt in Berlin.
Altes Frankfurt und Junges Deutschland
Der Verlag „Rütten und Loennig“ begleitet die gebürtige Leipzigerin Ines Thorn schon sehr lange. Ob als Schülerin, Studentin, Buchhändlerin oder Leserin, stets entdeckte sie hier für sich wunderbare Autoren wie Hermann Kant oder Emile Zola. Da ist es klar, dass sie begeistert ist, auch selbst dort zu verlegen. „Ich war glücklich als mich der Verlagsleiter ansprach, ob ich zum Jubiläum im Jahr 2019 ein Buch rund um die Verlagsgründung schreiben wollte“, erklärt die Autorin ihre ungewöhnliche Stoffwahl. Ihrer fiktiven Heldin Wilhelmine und der historisch verbürgten Figur Joseph hätte sie zwar viele heiße Liebesnächte gewünscht, aber da der Verlagsgründer Junggeselle blieb, hat sie es bei ungeschickten Annäherungen belassen. „Sex and Crime“ hat ihr historischer Roman aber auch nicht nötig. Er verführt durch die lebhaften Schilderungen des damaligen Frankfurts. In Kaffeehäusern, Kneipen und Hinterzimmern wurde hitzig diskutiert, auf den Plätzen demonstriert und in Sachsenhausen randaliert. Im großen Hirschgraben, wo Wilhelmine wohnt, herrschte geschäftiges Treiben und die Druckerpressen produzierten fleißig Flugblätter, politische Schriften und Pamphlete.
Eine Frau schlägt zu
Wer heute durch die die neue Altstadt zur Paulskirche flaniert, bekommt nach der Buchlektüre eine Ahnung davon, was in der Stadt zurzeit der Nationalversammlung so alles los war. Unter anderem: Mord und Totschlag. Zwei Abgeordnete der Nationalversammlung wurden bei der Pfingstweide in Bornheim ermordet. Damals mit dabei: Henriette Zobel. Die Freundin von Wilhelmine hat es wirklich gegeben. Der Regenschirm, mit dem die echte Henriette auf die Abgeordneten eingeschlagen haben soll, befindet sich heute im Historischen Museum. Die rebellische Zobel wurde nach einem siebenjährigen Gerichtsverfahren zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Wäre sie nicht eigentlich die perfekte tragische Romanheldin statt ihrer sympathischen, aber konventionellen Freundin? „Ich möchte zeigen, wie eine durchschnittliche Frau im 19. Jahrhundert tickte und deshalb steht Wilhelmine im Fokus!“, erklärt Ines Thorn die Anlage ihrer Romanheldin.
Eine Champagner-Wette mit Folgen
Der zweite Star des Buches ist natürlich Frankfurt. In die Stadt kam die Leipzigerin der Liebe wegen. Heute lebt sie mit Mann und Hund in Bornheim. Tipps zum Stadtteil kann man in dem Buch „Bornheim - Leben und Erleben“ nachlesen. Der Autor Jochen Schneider ist auch der Mann, der Thorn nach Frankfurt lockte. Zum Schreiben kam sie über die Malerei. Gleich nach der Wende fuhr sie nach Colmar, um den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald zu bestaunen. Sie war so hingerissen, dass sie beschloss, ein Buch über den mittelalterlichen Maler zu schreiben. Richtig ernst wurde es nach einer Wette mit einem Freund. Wenn jemals ein Buch von ihr im Schaufenster stehen würde, dann sei ihr eine Kiste Champagner sicher. Da dachte sie sich: “Was Hera Lind kann, kann ich auch.“ Rund vierzig Romane, historische und in der Gegenwart spielende, Krimis und Liebesgeschichten, hat Ines Thorn seitdem geschrieben, einige davon unter Pseudonym. Und bei jedem neuen Projekt ist sie wieder mit Herzblut bei der Sache, egal ob es um Walfang, schwarze Magie oder die Revolution geht. Wie kann frau so viele Romane produzieren? „Ich warte nicht darauf, dass mich die Muse küsst. Schreiben ist Disziplin und Handwerk“, betont Thorn voller Überzeugung. Wenn ihre Texte erst einmal verlegt sind, liest sie keinen ein zweites Mal. Dafür ist keine Zeit. Zu viele andere Bücher sind zu entdecken, und auch das nächste eigene ist schon in Arbeit. Diesmal wird es um ein Kino gehen.